Idealismus, Materialismus, Agnostizismus, Dualismus etc.

Kurz und knapp

 Idealismus: Der Geist ist ursprünglich und bringt die Materie hervor.

 Materialismus: Die Materie ist ursprünglich und bringt den Geist hervor.

 Agnostizismus: Man weiß nicht, ob Geist oder Materie das Ursprüngliche ist.

 Dualismus: Materie und Geist sind gleichermaßen ursprünglich.

 Monismus: Materie und Geist sind zwei Seiten der gleichen Sache.


Ausführlicher

Wenn man sich auf das konzentriert, was man unmittelbar erlebt, dann erlebt man sich als Körper (Materie [1]) und als Bewusstsein [2], unabhängig davon, welche Wörter man dafür auch immer benutzen mag. [3] In welchem Verhältnis Bewusstsein und Materie zueinander stehen, ist eines der ältesten Fragen der Philosophie, auch bekannt als Leib-Seele-Problem oder Grundfrage der Philosophie.



Idealismus und Materialismus bedeuten als philosophische Begriffe also etwas anderes als in der Umgangssprache! Umgangssprachlich ist ein Idealist jemand, der ein
Ideal hat, der bestimmte politische, religiöse, philosophische u. w. Überzeugungen hat und nicht im praktische, täglichen Alltagsleben seine einzige Erfüllung findet. Ein solcher Mensch kann sowohl ein  Idealist wie ein  Materialist im philosophischen Sinne sein. Und ein Materialist ist umgangssprachlich jemand, dem es nur um das Materielle geht, nur um den materiellen Lebensstandart, der nur an Essen, Sex, Kleidung, Autos etc. interessiert ist und darüber hinaus keine Interessen, keine Ideale hat. Auch ein solcher Mensch kann im philosophischen Sinne sowohl ein  Idealist wie ein  Materialist sein. Viele Missverständnisse beruhen darauf, dass die philosophische und die umgangssprachliche Bedeutung der Begriffe Materialismus und Idealismus nicht unterschieden werden.

Die moderne
wissenschaftliche Vorstellung vom menschlichen Bewusstsein bzw. von seinen Inhalten und der Welt kann man in gewisser Weise als eine Mischung aus  materialistischen und  subjektiv-idealistischen Auffassungen ansehen. Nach dieser Vorstellung gibt es eine vom subjektiven Geist unabhängig existierende materielle Welt, die auf das Subjekt wirkt und das Subjekt bildet sich dann einerseits auf Grund dieser Wirkungen und andererseits auf Grund angeborener und erworbener Arbeitsweisen des Gehirns seine Welt. Die Welt, in der der Einzelne lebt, ist eine von seinem Geist geschaffene Welt. Aber der Geist schafft sie auf Grundlage von realen unabhängig vom Einzelnen existierenden materiellen Vorgängen. (Sehen Sie hierzu auch meinen Aufsatz Jeder lebt in seiner Welt.) Wenn man nun auch noch glaubt, diese Welt sei von einem Gott geschaffen worden – und das glauben auch viele Naturwissenschaftler –, dann kommt sogar auch die  objektiv-idealistische Komponente hinzu. Und wenn man nun auch noch der Auffassung ist, dass dies eben Gesagte wohl stimmen wird, man es aber mit letzter Sicherheit nicht wissen könne, dann kommt sogar auch noch der  Agnostizismus hinzu. Wenn man also kein Dogmatiker ist, kann man alle Aussagen irgendwie berücksichtigen. (Die berühmten Vertreter dieser verschiedenen Positionen waren alle intelligente und gebildete Menschen. Sie hatte alle überlegenswerte Argumente für ihre Auffassungen.)

Meine Auffassung zum Bewusstsein-Materie-Problem

Nach meiner Auffassung ist der  Materialismus sowohl aus philosophischer wie aus naturwissenschaftlicher Sicht unhaltbar. (Naturwissenschaftlich siehe u. a. Hans-Peter Dürr.) Plausibler als ein materialistisches Weltbild ist mir, dass ein Weltbewusstsein, das zugleich ein Weltun(ter)bewusstsein, eine  Weltvernunft und ein  Weltwille ist, den Kern oder das Primäre des Seins ausmacht. (Der hegelsche Weltgeist und der schopenhauerische Weltwille.) Ich neige zu der Auffassung – ohne ein Dogma aus ihr zu machen! –, dass das Bewusstsein schon immer war. Die Dinge sind primär Bewusstsein (oder Weltun(ter)bewusstsein), bzw. Materie ist letztlich nur eine spezifische Form von Bewusstsein. Unser Gehirn produziert nicht das Bewusstsein, sondern ermöglicht es einem Subjekt, an dem unpersönlichen Bewusstsein der Dinge teilzuhaben. Unser Gehirn ermöglicht es, dass aus unpersönlichem, »ichlosem« Bewusstsein – das in der Welt bereits ist – ein persönliches, Selbst- oder Ichbewusstsein hervorgehen kann, das die gehirnlosen Dinge nicht haben.

Nun besteht das Problem, dass auch unser Gehirn aus Materie besteht, mithin auch unser Gehirn erst in unserem Gehirn entsteht. Unser Gehirn selbst ist eine Schöpfung des Geistes.

Näheres zu meinen Auffassungen zum Leib-Seele-Problem:


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Anmerkung:

Anm. 1: Körper und Materie gleichzusetzen war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts üblich. Nachdem durch neue naturwissenschaftliche Theorien (z. B. die  Relativitätstheorie) der physikalische Materiebegriff als philosophische Kategorie unbrauchbar wurde, versuchte  Lenin den Materialismus dadurch zu retten, dass er Materie nicht nur als Körper verstand, sondern als Sammelbezeichnung für alles, was unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existiert. Zurück zum Haupttext

Anm. 2: Schopenhauer sagte, wir erleben die Welt und uns unmittelbar als Vorstellung – was wie ich meine mit »Bewusstsein« übersetzt werden kann – und als Wille. Das ist eine andere – durchaus berechtigte! – Betrachtungsweise, die hier aber keine Rolle spielt. Ob Schopenhauer in der hier vorgenommenen Einteilung ein Materialist oder Idealist ist, das will ich nicht beurteilen. [Er passt wohl nicht in diese Einteilung. Es sei denn, man legt die leninsche Materiedefinition zu Grunde, was ich nicht ma(g)ch. Dann wäre der Wille Materie und Schopenhauer Materialist.] Zurück zum Haupttext

Anm. 3: Ich kann deshalb das Leib-Seele-Problem nicht als Sprach- oder Scheinproblem ansehen, wie in der Analytischen Philosophie und im Positivismus vielfach behauptet. Zurück zum Haupttext

Anm. 4: »Der Mensch weiß von Gott in dem Sinne, dass Gott im Menschen von sich selber weiß.« (Hegel) Dafür steht z. B. die indische Brahman-Atman Lehre, Spinoza und weitere pantheistische Religionen und Philosophien. Nach dieser Auffassung ist der Mensch (und darüber hinaus die ganze Welt) einerseits Gott und andererseits eine vorübergehende Verkörperung bzw. Entwicklungsphase Gottes. In dem Maße, wie der Mensch Gott ist, war er immer und wird er immer sein. In dem Maße, wie er eine vorübergehende Verkörperung oder Entwicklungsphase Gottes ist, ist er entstanden und wird er wieder verschwinden. In diesem Sinne ist der Mensch sterblich und unsterblich zugleich. Zurück zum Haupttext

Anm. 5: Es ist denkbar, dass es im Universum (oder im Sein schlechthin) Wesen gibt, die von ihren Fähigkeiten her so weit über den Menschen stehen, soviel Macht haben, dass man sie als Götter bezeichnen könnte, die aber nur auf Basis materieller Prozesse existieren (können). Auch die Nachfahren der Menschen könnten sich einst zu solchen Wesen entwickeln. Deshalb meine  hypothetische Aussage »Nicht ›Gott ist tot‹ (Nietzsche), sondern ›Gott ist noch tot‹ (ich ;-)«. Genauer beschäftigt habe ich mich damit in meinen Essays Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten und Ein Plädoyer für die Gentechnologie sowie im 17. Kapitel Meiner LebenserinnerungenZurück zum Haupttext

Anm. 6: Der Begriff Agnostizismus hat weitere Bedeutungen, die auf einigen Internetseiten besonders betont bzw. zu Unrecht in den Vordergrund geschoben werden. Agnostizismus kann bedeuten, dass man Gott, das höchste Seiende, nicht erkennen könne. Es dieses aber gebe. Diese Form von Agnostizismus hat eine Nähe zur  Negativen Theologie. Auf einigen Internetseiten wird unter Agnostizismus fälschlicher Weise nur das verstanden. Aber auch, wenn das für die primäre Bedeutung des Begriffs Agnostizismus gehalten wird, ist dies falsch, wie jeder überprüfen kann, der in verschiedene anerkannte philosophische Lexika schaut. Agnostizismus kann des weiteren die Ablehnung von Metaphysik bedeuten, aber auch Skeptizismus schlechthin. Wie ich schon in der  Anm 1 zur Einleitung zum philolex betont habe, gibt es keine einheitliche philosophische Fachsprache und im Verlaufe der Entwicklung nehmen Begriffe auch öfters eine neue Bedeutung an. Zurück zum Haupttext

Anm. 7: Eine weitere religiöse Bedeutung des Begriffs Dualismus ist, dass zwei mehr oder weniger gleichwertige Geister – ein guter und ein böser –, bzw. zwei geistige Prinzipien Ursache der Welt sind. Sehen Sie hierzu Zarathustrismus und Gnostizismus. Im Historisches Wörterbuch der Philosophie Band 2, S. 297–299 kann man weiteres über den Begriff erfahrenen, z. B. wie Kant, Hegel, Schelling u. a. ihn benutzten. Dieses ansonsten sehr wertvolle Wörterbuch ist bei diesem Begriff allerdings äußerst unvollständig. Zurück zum Haupttext

Anm. 8: Das hinter Geist und Materie stehende Absolute kann in der konkreten Philosophie eine Ähnlichkeit mit dem Geist oder der Materie haben oder als unerkennbar gelten. Auch  Idealisten und  Materialisten sind Monisten, weil sie – im Gegensatz zu den  Dualisten – nur ein Urprinzip annehmen. Aber sie sind keine neutralen Monisten. Zurück zum Haupttext


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