Johann Gottlieb Fichte

Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) war ein bedeutender deutscher Philosoph. Er war einer der wichtigsten Vertreter, wenn nicht der Begründer des  Subjektiven Idealismus. Fichte stammte aus ärmlichen Verhältnissen und entwickelte als erster in Deutschland die Idee des Sozialstaates. Er arbeitete lange als Hauslehrer, bis er durch die Unterstützung Kants Professor in Jena werden konnte. Von dort wurde er wegen des Vorwurfs, ein Atheist zu sein, vertrieben. 1810 wurde Fichte Mitbegründer und Professor der Universität von Berlin, der heutigen Humboldt-Universität. Anfänglich war Fichte ein begeisterter Anhänger der französischen Revolution, später wurde er ein erbitterter Gegner Napoleons und rief die Deutschen zum Befreiungskrieg auf.


Fichte ausführlicher


Einige Aspekte der Philosophie Fichtes

Wissenschaftslehre: Dieses Wort bedeutet bei Fichte ungefähr das, was bei Kant Transzendental-Philosophie bedeutet. Die Philosophie sei eine Wissenschaft von und vor den anderen Wissenschaften.

Materialismus und Idealismus: Es könne nur zwei konsequente philosophische Systeme geben. Philosophie beginne mit der Erfahrung, also der Vorstellung von Dingen. Entweder man leite die Vorstellungen von den Dingen ab ( Materialismus), oder man leite die Dinge von den Vorstellungen ab ( Idealismus).

Was für eine Philosophie man wähle, hänge davon ab, was für ein Mensch man sei. Der von Selbständigkeit und Tatendrang erfüllte Mensch werde den Idealismus wählen. [Es gab eine ganze Menge Menschen, die von großer Selbständigkeit und großem Tatendrang erfüllt waren und sich zum Materialismus bekannt haben.]

Idealismus: Letztlich gebe es aber nur ein konsequentes philosophisches System, nämlich den Idealismus. Denn wenn man vom Sein der Dinge ausgehe, werde man dadurch nicht erklären können, wieso es ein Bewusstsein von ihnen gibt. [Das Gleiche hatte schon Berkeley gesagt und dies ist auch exakt meine Auffassung.] Wenn man dagegen von den Vorstellungen ausgehe, bestehe kein Problem. Die Dinge bestünden eben nur in Form unserer Vorstellungen.

Am Anfang war die Tat: (Goethe, Faust I) Am Anfang der Philosophie stehe das denkende Subjekt. Es setze sich selbst. Die überindividuelle Vernunft, in der nach  Kant die apriorischen Formen enthalten seien, sei eine Tat des denkenden Bewusstseins.

Ich und Nicht-Ich: In einem vorbewussten Stadion setze das Ich sein eigenes Sein. Und da das Ich seinem innersten Wesen nach Tätigkeit sei, setze es sich, ebenfalls unbewusst, ein Nicht-Ich, die Welt, als Schranke, als Widerstand entgegen, um an etwas tätig sein zu können. Da das Nicht-Ich aber eine unbewusste oder vorbewusste, meinem bewussten Wollen entzogene, Schöpfung des Ichs sei, erscheine es mir als etwas fremdes und deshalb könne ich auch nicht nach Belieben darüber verfügen. Ich könne mich also nicht nach Belieben zum Beispiel über die Naturgesetze hinwegsetzen.

Ethik: Der Mensch solle danach trachten innerlich frei von allen äußeren Einflüssen zu werden. (Das sagte schon  Spinoza.) Das Ziel des Menschen sei es, sich nicht von den Dingen treiben zu lassen, sondern Schranken, Widerstände zu überwinden. Da wir aber die Schranken benötigten, um handeln zu können, sei dies nie völlig erreichbar. Wir könnten uns diesem Ziel nur annähern. Die ständige Vervollkommnung auf diesem Wege sei die Bestimmung des Menschen. Er solle sich einem Zustand annähern, in dem er dem unermesslichen All zurufen könne:


»Du bist wandelbar, nicht ich, und ich werde stets unversehrt über den Trümmern deiner Gestalten schweben.« »Wenn unter den Millionen Sonnen, die über meinem Haupte leuchten, die jüngsgeborene ihren letzten Lichtfunken längst wird ausgeströmt haben, dann werde ich noch unversehrt und unverwandelt derselbe sein, der ich jetzt bin.«



[Und das ist der Weltgeist! Nicht nur der individuelle Geist. Zitate aus Störig, S. 445.]

Subjektiver Idealismus: Fichte ist  subjektiver Idealist, da er (im Gegensatz zu Berkeley) keinen über den individuellen Geistern stehenden objektiven Geist kennt. »In aller Wahrnehmung nimmst du lediglich deinen eigenen Zustand wahr.« »Bewusstsein eines Dinges außer uns [ist] absolut nichts weiter als das Produkt unseres eigenen Vorstellungsvermögens.« »Das Anschauen ist der Traum; das Denken ... ist der Traum von jenem Traume.« Aus: Die Bestimmung des Menschen.

Seligkeit: Das redliche Streben nach Vervollkommnung sei Seligkeit. Seligkeit sei der Zustand des Glücks nach getaner Pflicht. Wer die Seligkeit anderswo suche, dem werde sie auch in einem zukünftigen unendlichen Leben nicht zuteil werden.

Gott: Sowenig es eine jenseitige Seligkeit gebe, sowenig gebe es einen jenseitigen Gott. »Der Begriff von Gott als einer besonderen Substanz ist unmöglich und widersprechend.« Die sittliche Weltordnung, das heißt das Streben des Ichs nach Vollkommenheit, sei Gott. [Ich meine, dass es blödsinnig ist, hier das Wort »Gott« zu verwenden. Auch taktisch gesehen hat es Fichte nichts genutzt, da ihm zu Recht vorgehalten wurde, ein Atheist zu sein.]

Staatstheorie: Fichte entwickelte als erster im deutschen Sprachraum die Idee eines sozialistischen Staatswesens. Der Staat solle dem Einzelnen das Grundrecht garantieren, von seiner Arbeit leben zu können. Dafür sei es notwendig, dass das Chaos in der Wirtschaft durch staatliche Planung ersetzt werde. Der Staat solle die gesamte Organisation der Produktion und Verteilung des Sozialproduktes in die eigene Hand nehmen. Neben dieser überragenden wirtschaftlichen Bedeutung, solle der Staat auch noch eine kulturelle und erzieherische Aufgabe haben. Auch das pädagogische Chaos solle ersetzt werden durch eine vom Staat geplante und gelenkte einheitliche Erziehung der Jugend. [Der Reale Sozialismus war dichter an Fichte als an Marx.]


Zitate von Fichte

»Wir lehren nicht bloß durch Worte; wir lehren auch weit eindringlicher durch unser Beispiel

»Der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit.«

»Alle Kraft des Menschen wird erworben durch Kampf mit sich selbst und Überwindung seiner selbst.«

»Das Leben ist selber die Seligkeit [...] denn das Leben ist Liebe, und die ganze Form und Kraft des Lebens besteht in der Liebe und entsteht aus der Liebe.«

»Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.«

»Es ist eine abgeschmackte Verleumdung der menschlichen Natur, dass der Mensch als Sünder geboren wurde.«

»Die Sinnenwelt erkennen wir, in der übersinnlichen Welt leben wir.«


Kritik an Fichte

Wo (der frühe) Fichte bei seiner Theorie vom Ich als Weltschöpfer die anderen »Ichs« hernimmt, ist mir schleierhaft. Soweit ich das sehe, müsste er eigentlich Solipsist sein. Denn warum soll die um mich herum existierende Welt mein Produkt sein, bloß die anderen Menschen nicht? (Der späte) Fichte umgeht den Solipsismus dadurch, dass er seine anfänglichen Auffassungen so stark relativiert, dass er sie faktisch wieder zurücknimmt. Er nähert sich schon dem hegelschen  »Weltgeist«. So hat Hegel denn auch Fichte als einen Vorgänger angesehen.

Fichtes Staatsvorstellungen wurden so oder ähnlich im 20. Jahrhundert in gut ein Drittel aller Länder auf der Erde praktiziert und es hat sich leider gezeigt, dass nichts gutes dabei herauskam. Es ist aber keineswegs verwunderlich, dass unter humanistisch eingestellten Menschen früherer Zeiten solche Ideen aufkamen. Denn das Chaos in der Wirtschaft hatte extrem unsoziale Folgen. Wenn man dieses Chaos aber ersetzt durch eine fast alle Bereiche erfassende staatliche Organisation, dann wird die Schöpferkraft des einzelnen Individuums abgetötet bzw. sehr stark eingeschränkt. Die Folge ist eine allgemeine Erstarrung und Verknöcherung der Wirtschaft und der übrigen Gesellschaft. Wenn der Staat dann auch noch die Erziehung und die Weltanschauung mit Absolutheitsanspruch bestimmt, führt dies zur Verödung des geistigen Lebens und zur ständigen Inquisition gegen Andersdenkende. (Sehen Sie hierzu auch den philolex-Beitrag Kommunismus-Sozialismus.)

Der bestmöglichste Weg liegt – wie so oft – wohl auch hier irgendwo in der Mitte. Das wirtschaftliche Chaos, die soziale Not muss ersetzt werden durch staatliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Des weiteren müssen den Menschen bestimmte Grundwerte anerzogen werden, ohne die eine humanistische Gesellschaft unmöglich ist. Aber es muss daneben noch genügend Raum bleiben für die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung des Einzelnen. Eine solch organisierte Gesellschaft funktioniert nachgewiesener Maßen am besten.

Des weiteren darf es nicht nur ein Machtzentrum geben. Es muss sowohl in den staatlichen wie in den nichtstaatlichen Institutionen viele Machtzentren geben. (Siehe Gewaltenteilung.) Die moderne westliche Gesellschaftsordnung ist ein solcher Mittelweg und sie ist deshalb auch das Beste, was die Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte hervorgebracht hat. Dies bedeutet aber nicht, dass sie das Nonplusultra an gesellschaftlichen Zuständen darstelle und außerhalb der Kritik stünde.


Literatur

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