Positivismus ist eine von dem französischen Philosophen und Gesellschaftstheoretiker Auguste Comte begründete Philosophie und Erkenntnistheorie, die fordert, sich unter Außerachtlassung aller metaphysischer Spekulationen mit den real gegebenen Erscheinungen zu beschäftigen. In Philosophie, Wissenschaft und Gesellschaft der Gegenwart ist der Positivismus (heute auch besonders in Form des Neo-Positivismus) von großer Bedeutung.
Positives Recht: Unter Außerachtlassung von Überlegungen was »Recht an sich«, ewige Werte etc. sind, hält man sich an das in einem Staat geltende Recht.
Bedeutende Positivisten waren zusätzlich zu Comte u. a.:
Avenarius, Richard (18431896). Deutscher Philosoph. Begründer des Empiriokritizismus (zusammen mit Mach), einer Richtung des Positivismus. (Wird mitunter aber auch als Richtung des Neukantianismus bezeichnet.) Durch die bloße Beschreibung des empirisch Gegebenen solle ein »natürliches Weltbild« erstellt werden. Ziel sei, das in den Erfahrungen Gegebenen mit dem geringsten Kraftaufwand zu denken. Es gebe keine Dualität von Physischem und Psychischem. Avenarius war eines der Hauptangriffsziele Lenins auf philosophischem Gebiet.
Mach, Ernst. (18381916). Österreichischer Physiker und Philosoph. Begründer des Empiriokritizismus (zusammen mit Avenarius), einer Richtung des Positivismus. (Wird mitunter aber auch als Richtung des Neukantianismus bezeichnet.) Substanzbegriff: Materielle Dinge seien nur stabile Zusammenhänge von Empfindungselementen. Beeinflusste Einstein und Hugo Dingler. Seine Theorien wurden Ausgangspunkt für die Entstehung des Wiener Kreises. Sein Denken beinhaltete auch aufklärerische und sozialkritische Elemente. Eines der Hauptangriffsziele Lenins auf philosophischem Gebiet.
Der Neopositivismus ist eine an den klassischen Positivismus anknüpfende philosophische Richtung, in der aber Logik und Sprache eine größere Rolle spielen. Der Neo-Positivismus wird von einigen Autoren zur Analytische Philosophie gezählt, von anderen als dessen Vorstufe angesehen. Bekanntester Vertreter ist wohl Rudolf Carnap.
Ausgangspunkt des Neo-Positivismus war der »Wiener Kreis«, ursprünglich eine 1924 von Moritz Schlick ins Leben gerufene Diskussionsrunde. Als »Ahnherr« kann Ernst Mach bezeichnet werden. (Der Wiener Kreis hieß zeitweilig »Verein Ernst Mach«.) Den Mitgliedern des Wiener Kreises ging es um »Wissenschaftliche Weltanschauung«. Darunter verstanden sie die Verbindung von Empirismus und Logik (deshalb wird diese Richtung auch »Logischer Empirismus« genannt) und die Ablehnung der Metaphysik.
Scheinprobleme: Philosophische und wissenschaftliche Probleme könnten nur auf drei Arten gelöst werden: logisch, mathematisch oder empirisch. Probleme, die sich nicht mit einer dieser drei Methoden lösen ließen, seien Scheinprobleme.
Ein zentrales Mittel zur Gewinnung von Erkenntnissen ist für die Positivisten die Methode der Verifikation, d. h. an Hand der Erfahrung wird eine Aussage als richtig bewiesen. (Das hat u. a. Popper stark kritisiert.)
Auf Grund der faschistischen Entwicklungen in Deutschland und Österreich wanderten die meisten Mitglieder des Wiener Kreises in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nach England und besonders zahlreich in die USA aus, wo sie für die weitere Entwicklung der Philosophie in diesen Ländern große Bedeutung erlangten.
Carnap, Rudolf. Siehe Extraseite.
Feigl, Herbert (19021988). Österreichisch-Amerikanischer Philosoph. Emigrierte 1930 in die USA. Vorher Mitglied des Wiener Kreises, damit Vertreter des Neopositivismus. Beschäftigte sich mit dem Leib-Seele-Problem. Seine sprachanalytische Fassung des psychophyischen Parallelismus hat Bedeutung für die aktuellen Diskussionen über dieses Thema.
Kraft, Viktor (19801975). Österreichischer Philosoph Neopositivist, Verbindung zum Wiener Kreis Werk: Mathematik, Logik und Erfahrung. Lieferte nach Albert »eine überzeugende Widerlegung der Dinglerschen Lehre«.
Menger, Karl (19021985). Österreichisch-Amerikanischer Mathematiker und Philosoph. Emigrierte 1936 in die USA. Vorher Mitglied des Wiener Kreises, damit Vertreter des Neopositivismus. Beschäftigte sich auch mit Ethik und zwischenmenschlichen Beziehungen.
Neurath, Otto (18821945). Österreichischer Ökonom. Gehörte zum »linken Flügel« des Wiener Kreises, war damit Vertreter des Neopositivismus. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern des Wiener Kreises politisch aktiv. (Sozialdemokrat.) Vertreter eines pragmatischen wissenschaftstheoretischen Ansatzes. Emigrierte 1934 nach Holland, 1941 nach England.
Reichenbach, Hans (18911953). Einer der Hauptvertreter des Logischen Empirismus.
Schlick, Moritz (18821936). Deutsch-Österreichischer Naturwissenschaftler und Philosoph. Gründer des Wiener Kreises, damit Vertreter des Neopositivismus. Setzte sich sprachkritisch mit der traditionellen Philosophie und den Wahrheitskriterien der Wissenschaften auseinander. Empirist, Materialist. Unterschiet zwischen Erleben d. h. nicht objektivierbare Beziehung eines Subjekts zu Gegenständen und Erkennen d. h. Strukturen erfassen, Beziehungen verschiedener Gegenstände zueinander. Die Nichtunterscheidung von Erleben und Erkennen sei Ursache für Irrtümer der traditionellen Philosophie, z. B. Kants synthetischen Urteilen a priori oder die Intuitions-Philosophie Bergsons und Husserls. Im Unterschied zu anderen Mitgliedern des Wiener Kreises beschäftigte Schlick sich auch mit Ethik und Ästhetik. Hauptwerk: Allgemeine Erkenntnislehre, 1918.
Waismann, Friedrich (18961959). Österreichischer Philosoph. Mitbegründer des Wiener Kreises, Vertreter des Neo-Positivismus. Emigrierte 1937 nach England.
Einige Autoren und Philosophie-Professoren (und viele halbinformierte Menschen) rechnen auch Karl Popper zu den Positivisten. (Z. B. Vertreter der Frankfurter Schule und die DDR-Philosophen.) Bei einer solchen Zuordnung sollte man aber zumindest die Unterschiede zwischen Popper und den originäre Positivisten berücksichtigen.
Der Positivismus kann eine positive Wirkung haben, wenn Menschen sich angeregt durch ihn von Religionen und anderen Dogmen ab- und dem wirklichen Leben, den empirisch wahrnehmbaren Realitäten zuwenden. Logisches Denken ist oft irrationalen Mythen vorzuziehen. Die große Wertschätzung der Wissenschaften begrüße ich.
Wenn aber Empirismus und Logik verabsolutiert werden, als allein gültige wissenschaftlich-philosophische Verfahren, dann zeugt das von mangelnder Sensibilität elementaren philosophischen Fragen und anderen philosophischen Methoden gegenüber.
Positivisten werden manchmal zu den Agnostikern gezählt, was ich für falsch halte. Wenn jemand auf die Frage, ob die Welt ein primär geistiger oder primär materieller Tatbestand sei, antwortet: »Das kann ich mit meinem Erkenntnisvermögen nicht beantworten«, dann ist er ein Agnostiker. Wenn jemand aber diese Frage zum Scheinproblem erklärt, dann ist er ein Ignorant.
Die Positivisten haben einen zu eingeschränkten Philosophiebegriff. Metaphysik als Bildung philosophischer Hypothesen ist für mich unverzichtbar. Es ist verwunderlich, dass sich einige Neo-Positivisten mit Ethik und Ästhetik beschäftigt haben. Nach ihren Grundüberzeugungen können diese Bereiche nicht zur Philosophie gehören. Wie soll man logisch oder empirisch beweisen oder begründen, dass eine bestimmte Handlung ethisch gut oder verwerflich ist? Oder ob ein Gemälde schön oder hässlich ist? Karl Popper: »Nichts ist leichter, als eine Frage als ›sinnloses Scheinproblem‹ zu enthüllen: Man braucht ja nur den Begriff des Sinnes eng genug zu fassen, um von allen unbequemen Fragen erklären zu können, dass man keinen Sinn in ihnen zu finden vermag, und indem man nur Fragen der empirischen Wissenschaft als sinnvoll anerkennt, wird auch jede Debatte über den Sinnbegriff sinnlos: einmal inthronisiert, ist dieses Sinndogma für immer jedem Angriff entrückt, unantastbar und definitiv.«
Kommentare zu Positivismus und Neo-Positivismus
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