Zweifel


Zweifel in der Philosophie

Zweifel heißt, dass Subjekt sich nicht sicher ist, ob eine bestimmte Auffassung, Behauptung, Lebenseinstellung, Weltanschauung etc. oder auch ein bestimmtes Vorhaben richtig oder falsch ist. So allgemein betrachtet, kann schon ein Tier Zweifel haben. (Z. B. Flucht oder Angriff?)

Der Mensch wächst heran und hält eine ganze Menge von bewussten und unbewussten Verhaltensweisen, Einstellungen, Auffassungen, Aussagen etc. mit kindlicher Naivität für richtig. Selbst viele Erwachsene machen dies ihr Leben lang. Es kommt aber auch vor, dass Menschen durch das Kennenlernen anderer Auffassungen, durch wissenschaftliche und philosophische Bildung, durch veränderte Lebenslagen oder durch Schicksalsschläge langsam oder abrupt die Unsicherheit und die Ungewissheit von vielem bemerken, was sie bisher mit Selbstverständlichkeit für richtig hielten. Allmählich oder plötzlich bemerkt man, dass Aussagen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder scheinbar nicht übereinstimmen, dass es zu den eigenen Auffassungen Alternativen gibt, die auch wahr sein könnten. Und manche Leute fangen dann an zu denken, zu zweifeln. (Viele Menschen fangen selbst dann nicht an zu denken.)

So lernten ca. 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung, zu Beginn der Antike, griechische Kaufleute, Seefahrer und Kolonisten verschiedene Kulturen und Religionen kennen. Dies wurde zum Nährboden für Zweifel und eigenes Denken. Die griechische und damit die abendländische Philosophie nahm so ihren Anfang. Zweifel kann (wie Erstaunen) ein Auslöser für Philosophie sein.

Konsequenter, vorbehaltloser Zweifel kann [und wie ich glaube, muss] zum Skeptizismus führen. [Näheres im Teil I Meiner Philosophie.]

Methodischer Zweifel bedeutet, dass man alles ausschaltet, was eventuell falsch sein könnte, um seine Philosophie auf eine absolut sichere, durch keinerlei Einwände mehr zu erschütternde Grundlage zu stellen. Dabei weiß man aber von vornherein, dass bestimmte Aussagen bleiben, die man für unbezweifelbar hält. So war es z. B. bei  Augustinus und  Descartes.

Die meisten Philosophen waren keine Zweifler, sondern Dogmatiker, was aber nicht ausschließt, dass sie interessante Gedanken beigesteuert haben.

Religionen versuchen häufig, einen Zweifel an ihren Aussagen im Keime zu ersticken. In meiner Kindheit wurde mir die Geschichte vom »ungläubigen Thomas« erzählt. Einer der zwölf Apostel Christi, der nicht glauben wollte, das  Christus auferstanden sei. Es lief darauf hinaus, dass bereits der Zweifel eine Sünde sei. »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.«

Später sang ich dann: »Die Partei, die Partei, die hat immer Recht. Und Genossen, es bleibet dabei. Denn wer für das Recht kämpft, hat immer Recht, gegen Lüge und Ausbeuterei. Und aus leninschem Geist wächst von Stalin geschweißt die Partei, die Partei, die Partei.« [Heute lache ich darüber.]


Methoden der Überwindung des Zweifelns

Es gibt drei Methoden den Zweifel zu überwinden. Die ersten beiden Methoden sind abhängig vom allgemeinen Entwicklungsstand des Zweifelnden, zwingen sich ab einem bestimmten intellektuellen Niveau einfach auf: 1. Das unmittelbare Erleben ist aus der Perspektive des Erlebenden nicht bezweifelbar. 2. Naive Auffassungen können mit unmittelbarer Sicherheit als falsch verworfen werden. (Und was naiv ist, das hängt ab vom jeweiligen intellektuellen Niveau des Urteilenden.) Die dritte Methode ist ein willentlicher Akt des Zweifelnden, der sich theoretisch nicht erzwingen lässt: Man lässt das Zweifeln einfach sein. Man lässt sich auf die Welt, in der man sich erlebt, ein. Man akzeptiert seine Erinnerungen, seine Wahrnehmungen, seinen Verstand etc. als tauglich, einem praktisch verwertbares Wissen zu vermitteln. Ohne einen solchen Verzicht auf das Zweifeln würde man im praktischen Leben handlungsunfähig und erkenntnisunfähig. (Näher ausgeführt habe ich dies u. a. im philolex-Essay Wissen, Vermutungen und Praxis.) Aber alles Wissen, was man nach dem willentlichen Verzicht auf das Zweifeln erwirbt, steht letztendlich unter dem Vorbehalt: »Eventuell ist es auch ganz anders.«


Zitate zum Zweifel

Aristoteles: »Wer Recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben.«

Peter Abaelard: »Durch Zweifeln kommen wir nämlich zur Untersuchung; in der Untersuchung erfassen wir die Wahrheit.«

Augustinus: »Wer könnte jedoch daran zweifeln, dass er lebt, sich erinnert, einsieht, will, denkt, weiß oder urteilt? Auch wenn nämlich jemand zweifelt, lebt er; wenn er zweifelt, erinnert er sich, woran er zweifelt; wenn er zweifelt, denkt er, wenn er zweifelt, weiß er, dass er etwas nicht weiß; wenn er zweifelt, urteilt er, dass er seine Zustimmung nicht leichtfertig geben solle. Woran immer jemand sonst zweifeln mag, an all diesem darf er nicht zweifeln. Denn wenn all dies nicht wäre, könnte er überhaupt an nichts zweifeln.«

Klaus von Dohnanyi: »Zweifel ist eine Frage der Intelligenz.« [Tendenziell schon. Es gibt aber leider auch gebildete und intellektuell leistungsstarke Dogmatiker.]

Descartes: »Dubium sapientiae initium

Thomas Alva Edison: »Zweifel klettert auf den Baum der Erkenntnis, Rechthaben hängt sich an ihm auf.«

Euripides: »Weises Misstrauen ist, was stets den größten Nutzen schafft den Sterblichen.«

Erich Fried: »Zweifle nicht an dem, der dir sagt er hat Angst, aber hab Angst vor dem der dir sagt, er kenne keinen Zweifel.«

André Gide: »Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.«

Goethe: »Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. Mit dem Wissen wächst der Zweifel.«

C. G. Jung: »Zur Abwehr der Zweifel wird die bewusste Einstellung fanatisch, denn Fanatismus ist nichts anderes als überkompensierter Zweifel.«

Kierkegaard: »Es ist Talent nötig zum Zweifeln, aber es ist schlechterdings kein Talent nötig zum Verzweifeln.«

Lichtenberg: »An nichts muss man mehr zweifeln als an Sätzen, die zur Mode geworden sind .«

Paul Richard Luck: »Wer noch nie seine eigene Existenz angezweifelt hat, wird nie etwas von ihr wissen.« [ Mein Zweifel.] »Die innere Anschauung kennt keinen Zweifel; sie nimmt hin.« [Das Erleben des Moments ist nicht bezweifelbar.]

 Marx: »De omnibus dubitandum«.

Christian Morgenstern: »Ihr anderen werdet sicherer immerdar. // Ich werde fragender von Jahr zu Jahr.«

Nietzsche: »Nicht der Zweifel, die Gewissheit ist das, was wahnsinnig macht…«

Russell: »Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe und Fanatiker immer so selbstsicher sind und die klugen Leute so voller Zweifel.« (»The whole problem with the world is that fools and fanatics are always so certain of themselves, and wiser people so full of doubts.«)

Johannes Scherr: »Dass der Zweifel an dem Gegebenen und Überlieferten der Vater aller wirklichen Forschung, wird heutzutage nur noch von Leuten bestritten, welche in Sachen des Denkens und Wissens überhaupt nicht mitzählen.«

Peter Ustinov: »Es sind die Zweifel, die die Menschen vereinen. Ihre Überzeugungen trennen sie.«

Voltaire: »Zweifel ist keine angenehme Voraussetzung, aber Gewissheit ist eine absurde.« »Je mehr einer weiß, desto mehr bezweifelt er.«

Peter Weiss: »Jedes Wort, mit dem er [der Schreibende] eine Wahrheit gewinnt, ist aus Zweifeln und Widersprüchen hervorgegangen.«


»In dubio pro reo.« Grundsatz der römischen und der modernen bürgerlichen Rechtsprechung. (Es gibt aber immer wieder Versuche, diesen Grundsatz in bestimmten Bereichen umzukehren. Nach Auffassungen mancher Politiker sollen z. B. Terrorverdächtige oder Bezieher von Sozialleistungen bei Anschuldigungen ihre Unschuld beweisen.)


Weitere ähnliche Zitate im philolex-Beitrag  Skeptizismus.


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