Wille


Wille in der Philosophie

Als Wille wird das Vermögen eines Lebewesens angesehen, absichtlich Ziele anzustreben. (Im Unterschied zu Vorgängen, die unbeabsichtigt, triebhaft, instinktiv erfolgen.) Einige Philosophen sehen im Willen darüber hinaus auch eine unpersönliche im Sein vorhandene Entität.

Ein bedeutender Gegenstand der philosophischen Debatte ist, ob die Vernunft oder der Wille das Dominante oder Grundlegendste im Menschen, in der Welt, bei Gott oder im Sein schlechthin ist.

Bei Aristoteles ist das Streben Teil der untersten  Seelenschicht, die durch die oberste Seelenschicht, die Vernunft steuerbar sei. Im Anschluss daran behaupteten die meisten der mittelalterlichen Scholastiker, z. B. Thomas von Aquin, dass die Vernunft dem Willen überordnet sei. Auch bei Gott. Gottes Vernunft stehe über Gottes Willen.

Für den Franziskaner  Duns Scotus steht dagegen der Wille über der Vernunft. Notwendig und  gut sei nur, was Gott wolle. Gottes Wille stehe über allem. Das gelte auch für Logik und Mathematik. Hätte Gott gewollt, dass 2 x 2 = 5 ist, dann wäre das auch so.

Für  Kant ist Wille nichts anderes als praktische Vernunft.

Schopenhauer sieht im Gegensatz zu den Vertretern des Deutschen Idealismus, die die Vernunft als oberstes Prinzip sahen, die Welt als Produkt eines irrationalen, blinden Weltwillens. (Der für ihn nicht an einen persönlichen Gott gebunden ist.) Hier liegt der Grund für seinen Pessimismus. Vernunft und Ethik seien dem Willen nachgeordnet.

Nietzsche sieht die Welt und alles was in ihr ist, als »Wille zur Macht«. So auch der Titel seines fragmentarisch gebliebenen Spätwerks. Der  Schlussaphorismus daraus ist sehr aufschlussreich. Im Gegensatz zu Schopenhauer bewertet Nietzsche den Willen positiv.

Dem Willen eine dominante Rolle zusprechen, wird Voluntarismus genannt.

Ein weiterer bedeutender Gegenstand der philosophischen Debatte ist, ob der Wille frei oder der Mensch in seinen Entscheidungen und Handeln immer unabänderlich in Kausalketten eingebunden ist. Sehen Sie hierzu den philolex-Beitrag Willensfreiheit.

[Man kann ganz unmetaphysisch den Weltwillen mit der im Sein vorhandenen Energie gleichsetzen und die Weltvernunft (oder den Weltgeist) mit der Gesamtheit aller im Sein vorhandenen Naturgesetze (der uns bekannten und der uns nicht bekannten) und der mathematischen, logischen und dialektischen Gesetze und Beziehungen.]


Meine Vorstellung von Wille

Im 6. Kapitel Meiner Philosophie habe ich mich mit der Herkunft des Willens beschäftigt. Hier ein Auszug:

»Fühlen« ist inneres Erleben. Bei den Gefühlen sind zwei Gruppen wichtig zu unterscheiden, die positiven und die negativen Gefühle. Es gibt Gefühle, die ich gerne erlebe, zum Beispiel Freude, Triebbefriedigung, bzw. das Ausleben von Trieben, wozu auch der Aufbau von Triebspannungen gehören kann (zum Beispiel beim Sexualtrieb), das Gefühl Erfolg zu haben, von anderen anerkannt zu werden, das Erringen neuer Erkenntnisse usw. Andere Gefühle sind mir unangenehm, zum Beispiel Trauer, Schmerz, Peinlichkeit, Schuldgefühle, Triebunterdrückung, Langeweile u. ä.

Mit diesen beiden Gruppen von positiven und negativen Gefühlen hängen nun auf das Engste meine »Bedürfnisse« zusammen. Ein Bedürfnis ist der Wunsch, einen gewissen Gefühlszustand zu erreichen bzw. zu erhalten und damit zugleich einen anderen Gefühlszustand zu beseitigen bzw. zu vermeiden, wobei ich das Ziel habe, die positiven Gefühle zu erleben und die negativen nicht.

Meine Bedürfnisse sind aber sehr vielfältig und zum Teil widersprüchlich. Ich kann mir nicht alle Bedürfnisse befriedigen. Nicht nur, weil die äußere Welt meinem Streben einen Widerstand entgegensetzt, sondern auch wegen meiner inneren Zerrissenheit. Ich unterdrücke laufend einen Teil meiner Bedürfnisse im Interesse der  Realisierung bzw. des Realisierungsversuchs anderer Bedürfnisse.

Dieses tatsächliche Streben, also nicht nur die Wünsche, sondern der aktive Versuch bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und andere zu unterdrücken, das ist der »Wille«.

Im 9. Kapitel Meiner Philosophie vertrete ich die Auffassung, der Willen sei bei der individuellen Zielsetzung der Vernunft und der Ethik übergeordnet. Auszug:

Alle Ziele, die ich mir stelle, soweit sie nicht weitergehenden Zielen unterordnet sind, sind Ziele meines Willens! Mein Verstand kann nur (und muss!) Teilziele setzen, indem er mir aufzeigt, was ich tun muss, um die von meinem Willen gesetzten Ziele zu erreichen.

Alle ethischen Grundaussagen sind bedingt durch meinen Willen! Der Verstand steht allen ethischen Grundaussagen neutral gegenüber. Er kann nur (und muss!) meine Bedürfnisse erkennen, mir bewusst machen, welche Bedürfnisse mir am wichtigsten sind und welche ich im Interesse dieser wichtigeren unterdrücken will. Mein Verstand hilft bei der Entstehung des Willens und bei der Realisierung dessen, was ich will. Er hat eine dienende Funktion.

In Anlehnung an Kants Auffassung »Du kannst, denn Du sollst!« habe ich den Satz kreiert: »Du musst, denn du willst!« Die letzten Ziele unseres Handelns sind von unserem Willen gesetzt. Die Vernunft kann nur Teilziele festlegen. Die Vernunft kann mir z. B. nicht sagen. »Lebe!« Die Vernunft könnte mir auch sagen: »Sterbe! Dann hast du's hinter dir. Früher oder später stirbst du ja sowieso. Wozu die ganze Plagerei?« Ich will leben. Ich will bei guter Gesundheit ein hohes Alter erreichen. Wenn ich das aber will, dann muss ich bestimmte Dinge tun, die mein Verstand mir rät. So ist es auch mit anderen Zielen.

Nicht »Du kannst, denn Du sollst!« Auch nicht »Du sollst, denn Du kannst!« Nein. »Du musst, denn Du willst!« Aber wenn du nicht willst, dann musst du auch nicht.


Zitate zu Wille

Otto von Bismarck: »Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.«

Marie von Ebner-Eschenbach: »Zwischen Können und Tun liegt ein großes Meer und auf seinem Grunde die gescheiterte Willenskraft.«

Erasmus von Rotterdam: »Viele Male schaut der Wille durchs Fenster, ehe die Tat durch das Tor schreitet.«

Benjamin Franklin: »Mit zwanzig regiert der Wille, mit dreißig der Verstand und mit vierzig das Urteilsvermögen.«

Mahatma Gandhi: »Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft – vielmehr aus unbeugsamen Willen.«

Johann Wolfgang von Goethe: »Ja, mit dem besten Willen leisten wir // So wenig, weil uns tausend Willen kreuzen.«

Franz Grillparzer: »Moral ist ein Maulkorb für den Willen, Logik ein Steigriemen für den Geist

Hegel: »Wer etwas Großes will, der muss sich zu beschränken wissen, wer dagegen alles will, der will in der Tat nichts und bringt es zu nichts.«

Alexander von Humboldt: »Der Mensch muss das Gute und Große wollen, das Übrige hängt vom Schicksal ab.«

Immanuel Kant: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«

Nietzsche: »Sein Glück sei: ›Ich will!‹ Ihr Glück sei: ›Er will.‹.«

Franziska zu Reventlow: »Alles Fühlende leidet in mir, aber mein Wille ist stets mein Bezwinger und Freudenbringer.«

Friedrich Schiller: »Alle andern Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will.« [Höhere Tiere werden auch schon zuweilen wollen.]

Arthur Schopenhauer: »Kein Wille: keine Vorstellung, keine Welt.« »Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also aus Leiden.«

Leo Tolstoi: »Das Glück besteht nicht darin, das du tun kannst, was du willst, sondern darin, dass du auch immer willst, was du tust.«

Ohne Autor

»Wenn der Wille da ist, sind die Füße leicht.«

»Der Wille versetzt Berge.«


Von mir selbst »Du musst, denn Du willst! Aber wenn Du nicht willst, musst Du auch nicht.« Meine Antwort auf  Kants »Du kannst, denn Du sollst.«


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