Max Horkheimer

Als Einleitung zu diesem Aufsatz empfehle ich den Aufsatz über die Frankfurter Schule.

Max Horkheimer (1895–1973) war ein deutscher Philosoph und Gesellschaftstheoretiker jüdischer Abstammung. Sohn eines frankfurter Fabrikanten. Geistiges »Oberhaupt« der Frankfurter Schule und neben Adorno wichtigster Exponent der »Kritischen Theorie«. Seit 1930 Professor für Sozialphilosophie in Frankfurt und Leiter des dortigen »Instituts für Sozialforschung«. 1933–1949 erst schweizer dann amerikanisches Exil. Dort u. a. Direktor der wissenschaftlichen Abteilung des Jewish Committee in den USA. Ab 1949 Wiederaufbau des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt bei Beibehaltung seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft.

Horkheimers Schriften sind zu einem großen Teil eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft in ihren politischen, ökonomischen und ideologischen Widersprüchen, sozialpsychologische Analysen der bürgerlichen Lebensformen und Studien über den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus. Zusätzlich zu dieser Kritik kommt – besonders im Früh- und Spätwerk – eine Art metaphysischer Pessimismus angesichts des »Malum metaphysicums«, des Leidens in Natur und Geschichte generell, oder (wie im Sinne von Metaphysik) des über das Materielle Leid hinausgehende allgemeine Leid im Sein. Hier gibt es eine gewisse Nähe Horkheimers zu Schopenhauer. In der mittleren Schaffensperiode überwog durch den Einfluss von Marx eine Zeit des Optimismuses zumindest was die Verringerung des »malum physicums«, des materiellen Elends anbetrifft. Aber auch in dieser Zeit klingt Schopenhauer immer mit an. Die Theorien Freuds haben – wie bei allen Vertretern der Frankfurter Schule – auch auf Horkheimer eine starke Wirkung ausgeübt, aber nicht im Sinne einer orthodoxen Übernahme.


Max Horkheimer ausführlicher


Einige Aspekte der Philosophie Horkheimers

Im Folgenden eine lexikalische Übersicht, wobei die »mittlere Schaffensperiode«, die Zeit der »Dialektik der Aufklärung« dominiert. Der »späte Horkheimer« hat manche Akzente anders gesetzt. In wieweit er resigniert hatte, bzw. Kultur-Pessimist war, wird in der Literatur – wie nicht anders zu erwarten – unterschiedlich beurteilt.

Wissenschaft: »Bürgerliche« Wissenschaft sei bestrebt, Wertungen und Vorurteile zu vermeiden, sie wolle objektiv sein. Objektivität werde aber an der gegenwärtigen Realität gemessen. Diese würde dann nicht mehr als historisch gewordene, sondern ontologisch als Sein oder empirisch als Tatsache angesehen. Horkheimer sah darin eine parteiliche und interessengebundene Erkenntnisweise: Die gegenwärtigen Tatsachen würden zur Wahrheit.

[Um erfolgreich handeln zu können, muss man zuersteinmal vorurteilsfrei die gegenwärtigen Tatsachen aufdecken und Veränderungswünsche auf ihre Realisierbarkeit prüfen. Hier bereits Werte einfließen zu lassen, vergrößert in beträchtlichem Maße die Wahrscheinlichkeit, dass das Handeln erfolglos bleiben wird, wie die »linke« politische Praxis im 20. Jahrhundert leider weitgehend gezeigt hat. Hier folge ich  Max Weber.]

Einer interesselosen Wissenschaft erscheine »die Welt... wie der weibliche Körper dem Greis, dessen Triebe erloschen sind«.

Horkheimer kritisierte aber nicht so sehr die Methoden der Wissenschaften, sondern ihre Einbindung in die kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese führten zu einer Verengung der wissenschaftlichen Rationalität und verhinderten deren Fortschritt. [??? Das galt zumindest für Naturwissenschaft und Technik schon damals nicht und stimmt heute noch weniger. Bei den Gesellschaftswissenschaften und Geisteswissenschaften mag dies bei den verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich sein. Außerdem ist in totalitären Gesellschaften die wissenschaftliche Rationalität der Wissenschaftler erheblich eingeengter als in der bürgerlichen Gesellschaft, soweit sie demokratisch und damit pluralistisch ist.]

Wissenschaftlicher Fortschritt ergebe sich aus seiner Einbindung in gesellschaftliche Prozesse. [Die Erkenntnisse eines Kopernikus oder Einstein – um nur zwei mögliche Namen von hunderten zu nennen – sind so nicht zu erklären. Die Eigendynamik, die die Vernunft und das wissenschaftliche Forschen entwickeln kann, wird unterschätzt. Die typische marxistische Überbewertung der  »Basis« und die Unterbewertung des  »Überbaus« und des menschlichen Geistes.]

Wissenschaftstheorie: Horkheimer wandte sich sowohl gegen eine metaphysisch- idealistische, wie gegen eine positivistisch-empiristische Gleichsetzung von Erscheinungswelt und Wahrheit. [Wieso wird von diesen beiden Richtungen Erscheinung und Wahrheit gleichgesetzt? Das sehe ich nicht so.] Diese beiden Richtungen gingen von einer geschichtslosen Realität aus. Metaphysik betrachte gesellschaftlich-geschichtliche Beziehungen als akzidentielle Attribute eines im Kern unveränderlichen Wesens und übersehe dabei realhistorische Ursachen von Leid. [Das zweite muss nicht notwendigerweise aus dem ersten folgen.] Und der Positivismus werde zum Tatsachenfetischismus. [Eine positivistische Sicht muss nicht zwangsläufig affirmativ sein. Außerdem kann man Comte, dem Begründer des Positivismus, ahistorisches Vorgehen nun wirklich nicht vorwerfen.]

Horkheimer versuchte eine Verbindung einzelner Momente kantischer Erkenntniskritik und marxistischer Kritik der politischen Ökonomie. Kant spricht von der »verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele«, Horkheimer von der allgemeinen Subjektivität, von der das individuelle Erkennen abhänge.

Subjektive und objektive Vernunft: Die subjektive Vernunft sei die klassische Verstandeserkenntnis, letztlich die instrumentelle Vernunft. Die objektive Vernunft suche eine objektive Sinnbestimmung der Geschichte zu entdecken. Sie neige zu romantisch-reaktionären Ideologien und verlogener Affirmation. [Hegel, Marx und Comte haben solche Geschichtsphilosophien entwickelt. Romantisch-reaktionären Ideologien und verlogener Affirmation kann man Marx und Comte aber kaum vorwerfen.] Subjektive und objektive Vernunft sollten in einer wechselseitigen Kritik zueinander stehen. [Da hat die instrumentelle Vernunft ja doch noch einen Wert!]

Horkheimer vertrat eine  »materialistische Konstitutionstheorie« durch eine Verbindung und Weiterentwicklung kantischer und marxistischer Auffassungen. (Sein Studium der  Gestaltspsychologie spielte wohl auch eine Rolle.)

Menschenbild: Horkheimer verwarf anthropologische Allgemein- oder Wesensaussagen. Was für andere Wissenschaftler Natureigenschaften des Menschen waren, hielt er für klassenspezifische Prägungen. Die naturwissenschaftliche, biologische Betrachtung des Menschen findet bei ihm faktisch nicht statt. [Und das war der entscheidende Fehler auf der linken Seite des politischen und wissenschaftlichen Spektrums.]

Sozialismus: Horkheimer behauptete im Unterschied zu Marx nicht die gesetzmäßige Entwicklung zum Sozialismus. Subjektive Faktoren wurden vom ihm stärker betont. Den Sozialismus sah er als eine Möglichkeit, für die es allerdings reale Verwirklichungstendenzen gebe. Letztendlich sei der Sozialismus aber eine ethische Forderung.

Faschismus: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll über den Faschismus schweigen.« Der Faschismus sei die Antwort auf die Krise des Kapitalismus. Was mit rein ökonomischen Mitteln nicht mehr aufrecht zu erhalten sei, würde nun auf despotische Weise gesichert.

Revolutionen würden sich nicht nur gegen das Schlechte der alten Gesellschaft richten, sondern auch gegen das, was an der alten Gesellschaft gut war. Revolutionen erzeugten Leid, aber dies sei nicht zu umgehen. [Hier meine ich mit  Popper, dass Gewalt nur dort angewendet werden sollte, wo friedlicher Wandel nicht möglich ist. Die weitere Entwicklung hat hier Popper und nicht den Frankfurtern Recht gegeben. Oder war etwa die Gewalt und das Leid in Russland und China gerechtfertigt im Lichte dessen, was man in diesen Ländern heute an Gesellschaft und Lebensbedingungen der Massen hat?]

Veränderungen der Klassen: Es gebe kein einheitliches Klassenbewusstsein und Klassenschicksal mehr, weder bei den Arbeitern noch bei den Kapitalisten. Bei den Arbeitern gebe es unterschiedlich gut situierte und die Arbeitslosen. Bei den Kapitalisten gebe es den reaktionären Kleinkapitalisten, der um sein Überleben als Kapitalist kämpfen müsse und den weltoffenen Trustmagnaten, den Großkapitalisten. An  Moral zu apellieren lohne sich nicht. Das Bürgertum sei längs zynisch geworden und gefalle sich in seiner Amoralität.

Spätestens seit Beginn der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es bei Horkheimer keine Verbindung von Theorie und Praxis mehr. Er hatte die Hoffnung auf eine »proletarische Erhebung« oder ähnliches aufgegeben. Neben den Begriffen Faschismus und Stalinismus benutzte er auch die Formulierung »verwaltete Welt«. Dies sei eine Form von Herrschaft, die subtiler als Faschismus und Stalinismus sei, aber dazu in der Lage, große Teile der benachteiligten Schichten durch materielle Zugeständnisse ins kapitalistische System zu integrieren.

Was nun folgte, war eine fundamentale Kritik der europäischen  Aufklärung und des modernen wissenschaftlichen Rationalismus, der »instrumentellen Vernunft«. Nun ging es nicht mehr bloß um Kapitalismuskritik, sondern das Streben des Menschen mit Hilfe der Vernunft die Natur beherrschen zu wollen, wurde kritisiert, bis in die griechische Antike hinein. Scheinbar soll nach Auffassung von Horkheimer und Adorno die Vernunft nur – oder zumindest in aller erster Linie – dazu benutzt werden, die Wahrheit zu erkennen, sie soll reine Reflexion ohne Einwirkung auf die Natur sein. Es sei eine Krankheit der Vernunft, dass sie die Natur beherrschen wolle. [Das ist eine Art theoretischer Maschinenstürmerei! Mit linken, sozialen, emanzipatorischen Ideen hat das gar nichts zu tun. – Ich habe prinzipiell nichts gegen eine reine Wahrheitssuche ohne jede praktische Auswirkung. Aber erstens ziehe ich in Erwägung, dass ich reine Wahrheit gar nicht erkennen kann – weil ich von meiner natürlichen Konstitution dazu gar nicht befähigt bin – und zweitens ist Erkenntnis zwecks praktischer Verwertbarkeit ein ebenso legitimes Erkenntnisziel. Ich wohne jedenfalls lieber in einem Haus, das mit Hilfe der instrumentellen Vernunft errichtet wurde als in einem von der Natur zur Verfügung gestelltem Erdloch. Die Frankfurter auch – davon gehe mal aus –, aber dann ist ihre Kritik der instrumentellen Vernunft inkonsequent. Wäre sie konsequent gewesen, hätte Horkheimer keine Brille getragen und Adorno kein Klavier benutzt. Beides Ergebnisse instrumenteller Vernunft.]

Das äquivoke Wesen von Natur und Vernunft: Es gebe die rohe, unentwickelte Natur mit dem puren Recht des jeweils Stärkeren, und eine archaisch-sinnliche, verlockende Natur, die Lust und Glück verspreche. Vernunft sei zugleich Bedingung von Emanzipation wie von Herrschaft. Der einfachste Akt der Abstraktion schaffe schon eine Distanz zwischen Menschen und Natur und löse eine frühere Einheit auf. [Anders ist Erkenntnisfortschritt aber überhaupt nicht zu erreichen. Außerdem werden viele Philosophen und Naturwissenschaftler einwenden, dass wir von Anfang an immer nur ein subjektives Abbild von der uns umgebenden Natur hatten, das mit dem Objekt nicht übereinstimmt. (Siehe Evolutionäre Erkenntnistheorie) Eine Einheit mit der Natur gab es nur vor dem Auftreten erster Bewusstseinsansätze.] Die historischen Gestalten, in denen Vernunft sich formiert habe, hätten stets ein latent regressives Moment enthalten. Immer unwahrscheinlicher werde eine Versöhnung zwischen Natur und Vernunft, die ohne Herrschaftszwang in ein freies Verhältnis zueinander treten. [Grün-fundamentalistische Auffassungen.]

Der Konflikt zwischen Natur und Vernunft finde seine Zuspitzung in der instrumentellen Vernunft und im Industrialismus. Die Unterdrückung der Natur innerhalb und außerhalb des Menschen werde zum Selbstzweck, gehe ohne ein sinnvolles Motiv vonstatten. [Wenn Kapital-Akkumulation zum puren Selbstzweck wird, dann stimmt diese Kritik. Sie stimmt aber nicht mehr, wenn die instrumentelle Vernunft und der Industrialismus massenhaft massenhaft vorhandene Bedürfnisse befriedigt. (Die Wortwiederholung ist kein Fehler!)]

Spätwerk: Kultur-Pessimismus. In der »Dialektik der Aufklärung« hält Horkheimer noch die Befreiung bzw. Versöhnung von Natur und Gesellschaft für möglich. Der spätere Horkheimer hält dies nicht mehr für möglich.


Zitate Horkheimers

»Es gibt keine Definition der Philosophie. Ihre Definition ist identisch mit der expliziten Darstellung dessen, was sie zu sagen hat.« [Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass in Lexika hinter dem Stichwort »Philosophie« steht: »Lesen Sie die Werke der Philosophen, dann wissen Sie, was Philosophie ist.«]

»Versuchung des Philosophen: er entsagt dem Denken da es – unbeweisbar – immer bloß Meinung sei – und verschreibt sich der gesunden Wissenschaft. Endlich der Sphäre entrinnen, in der man sagt, wie es ›ist‹, während es doch anders ›sein‹ kann.« [Für die Naturwissenschaft trifft das schon mal nicht zu, viele natürliche Vorgänge, z. B. die Entsehung eines Moleküls, können gar nicht anders sein. Für die Gesellschaftswissenschaft trifft es meistens auch nicht zu. Die menschliche Natur lässt nun mal nicht alles zu.]

»Geist und Zeit: In jedem Satz, der wahr sein will – also in jedem Satz – wird von der Zeit abstrahiert. Denn ein Satz, dessen Wahrheit von der Zeit angenagt wird, ist eben nicht wahr. (...) Die Frage ist, ob es Sätze gibt, welche von der Zeit unabhängig sind.« [Etwas das zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Zusammenhang wahr ist, ist in dieser Zeit und diesem Zusammenhang wahr. Ob der Mensch mit seinem natürlichen Erkenntnisapparat – über den Horkheimer und Adorno scheinbar nie nachgedacht haben –, in der Lage ist, zeitlose Wahrheiten zu erkennen, wissen wir gar nicht. Horkheimer hat eine  platonische Wahrheitsvorstellung.]

»Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt.« »Aufklärung ist totalitär.« [Ohne Aufklärung wären wir im Mittelalter geblieben. Aufklärung ist geradezu die Voraussetzung, dem Totalitärem zu entkommen.]

»Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst.« [Technische Rationalität hat u. a. dazu geführt, dass wir heute das Internet haben und damit erheblich mehr Menschen Zugang zu Informationen und Wissen haben.]

»Vollkommene Gerechtigkeit kann in der Geschichte niemals ganz verwirklicht werden.« [Schon allein deswegen, weil man von Gerechtigkeit ganz unterschiedliche Vorstellungen haben kann.]

»Wenn man das Entsetzen der heutigen Welt über die Lustmorde, besonders über Angriffe auf Kinder erfährt, könnte man glauben, dass ihr das Menschenleben und die gesunde Entwicklung des Individuums heilig wäre.« [Theoretisch bzw. von den Vorsätzen her, ist es ja auch so. Die Praxis hinkt hier den Idealen hinterher.]

»Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.« [Kapitalistische Kriesen führen nicht automatisch zum Faschismus.]

»Vielleicht ist ein unmächtiges und gequältes Leben, das voll von Güte war, nicht verloren, vielleicht hat es einen ewigen Morgen. Wir können es nicht wissen.«

»Bei den Christen ist in der Geschichte vom Paradies die Erbsünde die Hauptsache, bei den Juden die Vertreibung und der Wunsch nach Rückkehr.«

»Die Frau schreitet jetzt wie ein Mann, Zigarette im Mund, die Mundwinkel nach unten, die Stirn gefaltet: wie der Herr dieser die Natur zertretenden Zivilisation.« [Raucht Frau Merkel? Mit den Mundwinkeln schein es aber zu stimmen :-( ]


Meine Kritik an Horkheimer

Die Kritik ist häufig schon bei der Darstellung seiner Positionen vorgetragen. Zur weiteren Kritik sehen Sie bitte:  Kritik an der Kritischen Theorie. Bei der Beurteilung der Aufklärung, der instrumentellen Vernunft und der bürgerlichen Gesellschaft stehe ich konträr zu Horkheimer! Ich hoffe, die instrumentelle Vernunft wird die Menschen dazu befähigen sich zu höheren Arten weiterzuentwickeln. Dazu näheres in meinem Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten.


Literatur und Sekundärliteratur

Literaur
Sekundärliteratur

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