Theodor W. Adorno

Als Einleitung zu diesem Aufsatz empfehle ich den Aufsatz über die Frankfurter Schule.

Theodor W(iesengrund) Adorno (1903–1969. Adorno = Nachname der Mutter, Wiesengrund = Nachname des Vaters). Deutscher Philosoph, Soziologe und  Musik-Kritiker und -Theoretiker. Sohn eines zum  Protestantismus übergetretenen jüdischen Weingroßhändlers und einer korsischen Künstlerin. Neben Max Horkheimer bekanntester Vertreter der »Frankfurter Schule«. Während der Nazizeit nach England [1] und USA emigriert. In den 50er und 60er Jahren Professor in Frankfurt. Wird in der Literatur häufig als einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Seine philosophischen und gesellschaftswissenschaftlichen Auffassungen stimmen mit denen Horkheimers weitgehend überein. Es wird hier nicht alles wiederholt, was in der Beschreibung der Auffassungen Horkheimers ausgeführt wurde.

Übersteigerter Individualismus: Hauptanliegen Adornos ist die »Rettung des Individuums« in der verwalteten und vermarkteten Welt. Die »Verwaltete Welt« würde jeden individuellen Spiel- und Freiraum beseitigen. Kritik an Kant, der das Individuum in seiner Stellung zum Allgemeinen definiert. Kritik an Hegels Theorie von der Synthese des Allgemeinen und des Besonderen. Das Wissen um die Differenz von Allgemeinen und Besonderen sei wichtiger als deren Versöhnung. Kritik am sozialistischen Kollektivismus, der das Individuum noch stärker einschränke als die kapitalistische Gesellschaft. Adornos Skepsis gegen das »Allgemeine« könnte gipfeln in dem Satz: »Glück kann nur in der Vereinzelung liegen, im völligen Rückzug aus der Gesellschaft.« (Knapp, 62) [So wichtig und unverzichtbar mir meine individuelle Freiheit ist, sosehr brauche ich doch die Gesellschaft, brauche ich andere Menschen für ein glückliches Leben.]

Ablehnung von Naturwissenschaft und Technik: Adorno wendet sich gegen die »Instrumentelle Vernunft«, gegen blinden Fortschrittsglauben. Vieles an Adorno erinnert an grüne Fundamentalisten. [Ich wundere mich allerdings immer darüber, dass solche Leute noch Brillen tragen. Diese sind nämlich ein Ergebnis von Instrumenteller Vernunft, von Naturwissenschaft und Technik. Auch sein Klavier.]


Adorno ausführlicher



Weitere Aspekte der Philosophie Adornos

[Beim Lesen von Texten Adornos oder über Adorno kommt es vor, dass man mit Fremdwörtern konfrontiert wird, die im Duden-Fremdwörterlexikon nicht zu finden sind. Ohne gute Latein- und Altgriechisch-Kenntnisse wird man des Öfteren aus dem Zusammenhang erraten müssen, was diese Worte bedeuten. Es war schon immer eine Methode von Esoterikern sich durch Geheimsprache von Unwürdigen abzugrenzen.

Man muss die Kritik an einer Person und die Kritik seiner Auffassungen unbedingt auseinanderhalten! Es ist leider eine bei bestimmten Menschen(gruppen) beliebte Methode, einem missliebigen Menschen, Autor, Politiker etc. bestimmte Dinge zu unterstellen, ihm zu Recht oder zu Unrecht bestimmte Verhaltensweisen anzukreiden und auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit seinen politischen, philosophischen etc. Auffassungen zu vermeiden. Ich kritisiere im Folgenden vieles an der Person Adorno, wie auch vieles an seinen Auffassungen. (Mancher wird vielleicht den Eindruck bekommen, dass ich kein gutes Haar an ihm lasse.) Soweit ich es sehe, ist aber immer erkennbar, was von beidem ich gerade kritisiere.]


Behütete Kindheit (in Frankfurt/M), künstlerisch-musikalische Förderung, umsorgt von zwei feinfühligen Frauen (Mutter und Tante), keinerlei materielle Not. Man könnte fast von idealen Kindheits-Bedingungen sprechen. Adornos spätere Idealisierung des Kindheitszustandes hat hier wohl eine Ursache. Sein Motto war:


»Nicht erwachsen werden, ohne infantil zu bleiben.« [2]


[Adorno hat allerdings in dieser Umgebung wohl nie gelernt sich zu wehren, wenn er verprügelt wurde, sowohl im wörtlichen als im übertragenen Sinne. Das konnte er sowohl als Schüler wie später als Professor nicht. (Als die Studenten sein Institut besetzten, wusste er sich nur mit der Polizei zu wehren.)]

Promotion über Husserl und 1. Habilitationsversuch über »Der Begriff des Unbewussten in der transzendenten Seelenlehre« bei Cornelius. Dieser 1. Habilitationsversuch scheitert, da Cornelius mit den inhaltlichen Aussagen nicht übereinstimmt. Der 2. Habilitationsversuch bei seinem Freund Paul Tillich über Kierkegaard gelingt. [3]

Freud: Die Theorien Freuds haben – wie bei allen Vertretern der Frankfurter Schule – auch auf Adorno eine starke Wirkung ausgeübt, aber nicht im Sinne einer orthodoxen Übernahme. Gerade seine Abwertung des Unbewussten unterscheidet ihn von anderen der Frankfurter Schule nahestehenden Theoretikern.

Adorno hat kein System, kein in sich ruhendes Gesamtwerk geschaffen.

Adorno war ursprünglich ein Theoretiker der Philosophie und der Musik. Die Wirklichkeit, die Empirie war nicht seine Sache. In der Emigration war er dann gezwungen, sich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen, soziologische und psychologische Untersuchungen zu machen. Seine Freundschaft mit Horkheimer ist eine wichtige, vielleicht sogar die ausschlaggebende Ursache dafür, dass Adorno überhaupt ins »Linke Lager« geriet, und dass er empirische Wissenschaft betrieb. Nach Ende der Emigration ist Adorno dann weitgehend wieder von der empirischen Forschung abgekommen und hat Theoriebildungen betrieben. Auch viele Menschen, die seinen theoretischen Überzeugungen nahestanden, haben Adorno Praxisfeindlichkeit vorgeworfen.

Adornos Philosophieren geht es von Anfang an um die Grundspannung von Leiden und Trost. Aber nicht um das materielle Leid bestimmter Klassen, sondern um das Leiden des Einzelnen an oder in der Gesellschaft geht es ihm. [Wegen solcher Auffassungen habe ich immer Probleme damit, Adorno überhaupt als einen »Linken« anzusehen. Es gibt hier eine gewisse Nähe zu  Kierkegaard, aber auch einen wichtigen Unterschied zu diesem. Adorno war auf das Diesseits aus, Kierkegaard auf das Jenseits.]

Man findet bei Adorno die typisch deutsche und jüdische Bewertung des Holocaust als des Verbrechens schlechthin, als einer Einmaligkeit, für das es nichts vergleichbares gibt. Es hat aber vor und nach Auschwitz Massen- und Völkermorde in Millionenhöhe gegeben. Lediglich die spezifische Art, das fabrikmäßige Massenmorden, war einzigartig.

Rumgejammer – nur ein kleiner Beispieltext: »Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt [...] und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Ganze geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewusstsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält.« (Aus der Minima Moralia) Um diesen Satz vollständig bewerten zu können, muss man natürlich den Kontext kennen und berücksichtigen. Was sich hier aber auf jeden Fall ausdrückt, dass ist eine Jammerei, die mich an Schopenhauer und Kierkegaard erinnert. Da verwundert auch nicht, dass ihm folgende Zeile Trakls besonders gefiel: »Wie ist doch alles Werdende so krank.« [4]

Echte Emanzipation, richtiges Leben gar nicht möglich? »Denn wahr ist nur, was nicht in diese Welt passt«, ist ein Kernsatz aus den posthum veröffentlichten Ästhetischen Theorien. »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« ist ein Schlüsselsatz aus der Minima Moralia. Knapp kommt zu dem Schluss, dass Adorno keinen Augenblick an die Realisierung des Sozialismus geglaubt habe. »Die Philosophie Adornos kündet von einem Glück, das in Wirklichkeit unerreichbar ist, ohne dass sie jemals das Verlangen nach diesem Glück preisgäbe.« (Knapp, 87) [Dann wäre allerdings das ganze Gerede vom »Ausbleiben der Geschichte« überflüssig.]

Pessimismus: Die Negative Dialektik ist ein Gegenentwurf zu  Hegels Geschichtsphilosophie, zu Hegels Geschichtsoptimismus. Bei Hegel kommt der Geist am Ende seiner Entwicklung wieder zu sich, (ist  »an und für sich«), bei Adorno wird der Geist zum Opfer des Geistes, wird die Aufklärung zum Opfer ihrer selbst.

 Positivismusstreit: 1961 begann der Streit mit Karl Popper über Methodenprobleme der Sozialwissenschaften. Adorno konnte sich wegen seiner Grundpositionen unmöglich mit Poppers Wahrheitsverzicht einverstanden erklären. Anstatt wie bei Popper sich auf die empirische Ermittlung und Erforschung von Fakten zu konzentrieren, beharrte Adorno auf der Totalität der Gesellschaft und der Absage an die Arbeitsteilung in der modernen Wissenschaft. Empirische Untersuchungen könnten niemals so exakte Wahrheiten ergeben, wie die geistige Tätigkeit. Während Popper stark auf Kant aufbaut – ohne etwa ihm 100%ig zu folgen – fällt Adorno hinter Kant zurück – was man natürlich auch Hegel schon vorwerfen muss. Adornos Äußerungen zur Bedeutung der Empirie und der Erfahrung sind allerdings widersprüchlich. Poppers  »Wertfreiheitspostulat für den Begründungszusammenhang« lehnte Adorno ab. Wertfreies Erfassen von Tatsachen sei unmöglich. [Bei der Auseinandersetzung zwischen Popper und Adorno stehe ich voll und ganz auf der Seite Poppers. Erstens liegt mir Popper wissenschaftlich und philosophisch erheblich mehr, außerdem haben Popper und seine Anhänger erheblich mehr zur Verbesserung der Welt beigetragen als Adorno und dessen Anhänger. Besser gesagt: Adorno und dessen Anhänger haben nichts in der Welt verbessert. Gar nichts!]

Besonders in den 50er und 60er Jahren führt Adornos elitäre Einstellung zur Musik zur Ablehnung des kulturellen Massenbetriebs und jeder quantitativen Kunstwirkung. Er war ein Vertreter bzw. Befürworter der zeitgenössischen Klassik, die bekannter Maßen nicht gerade eine Massenwirkung hat. Jazz, Rock, Pop etc. war unter seinem Niveau.

[Über Adornos Musik-Theorien möchte ich mich nicht näher äußern, da ich mich mit Musik-Theorie nicht auskenne. Das Einzige, was ich als Musik-Laie dazu sagen möchte, ist, dass ich eine unmittelbare Ableitung der  Musik aus der ökonomischen Basis, eine unmittelbare Ableitung der unterschiedlichen Kunst-Geschmäcker aus der jeweiligen sozial-okönomischen Interessenslage des Betrachters bzw. Hörers für sehr problematisch halte. Bedeutungslos ist der sozial-ökonomische Aspekt nicht. Aber bei Adorno findet man die typisch linke Überbewertung der Basis und die Unterbewertung der Eigendynamik, die »Überbauelemente«, künstlerisches Schaffen, geistige Aktivitäten generell etc. entfalten können. Zu »Basis und Überbau« siehe  Marx.]

Weiteres zu Adorno in den Aufsätzen zu Max Horkheimer und der »Frankfurter Schule«. Wer mit den Auffassungen Adornos nicht besonders vertraut ist, sollte diese Aufsätze lesen, bevor er meine Kritik an Adorno ließt.


Zitate Adornos

»Auschwitz fängt da an, wo einer steht und denkt, es sind ja nur Tiere.« [Oder es sind ja nur Idioten.]

»Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.« [War Adorno nicht auch Deutscher? Was sollen solche dummen Verallgemeinerungen?]

»Engagement ist vielfach nichts als Mangel an Talent oder an Anspannung, Nachlassen der Kraft.« [Mit anderen Worten, wer Talent und Kraft hat, engagiert sich nicht. Was für ein Arsch!]

»Deine Freunde sind dort wo du schwach sein kannst, ohne Stärke zu provozieren.«

»Was nützt einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?.« [Die Nazis haben vielen Menschen die Gesundheit genommen, die aus Adornos Perspektive Idioten waren. Was regt er sich also auf?]

»Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.«

»Der einzig legitime Grund, ein Kind zu bekommen, ist die Freude am eigenen Leben.« [Das ist so dumm, das es schon unverschämt ist. Der hatte ja wohl hoffentlich keine.]

»Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen.« [Zum Glück ist sie nicht nur das.]

»Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.«

»Der Splitter in unserem Auge ist das beste Vergrößerungsglas.«


Meine Kritik an Adorno

Adorno gehört zu den Philosophen, die ich am aller wenigsten mag. Sowohl als Person wie in vielen seiner Aussagen finde ich ihn zum Kotzen! Philosophie zum Abgewöhnen. Wie bei Kierkegaard und Rousseau. Wenn ich im Vergleich dazu Popper oder Russell nehme, dann kann man Adorno sowohl als Person wie viele seiner Aussagen in die Tonne treten! Da ist mir Nietzsche ja noch sympathischer. Positiv: Er hat dialektisch gedacht. Da kann man vielleicht manches rausziehen.

Es werden Idealvorstellungen an die Wirklichkeit, die Gesellschaft, die Kultur, den Menschen etc. herangetragen, die aber mit den Realitäten nicht übereinstimmen und nicht übereinstimmen können. Die Reaktion ist dann häufig nicht Änderung der falschen Vorstellungen und mehr Realismus, sondern Frustration und Kulturpessimismus. Für ein solches Verhalten von Philosophen und Literaten gibt es viele Beispiele, angefangen mit  Platon.

Adorno war ein von finanziellen Zwängen befreiter Bildungs- und Kulturbürger. Diesen Menschentyp hat er zum Ideal erhoben – unabhängig davon, ob ihm das selbst so bewusst war – und er hat es verurteilt, dass bei vielen Menschen materielle Bedürfnisse und niedere Kultur – wozu Adorno auch Jazz zählte – dominierte, er bedauerte »das Ausbleiben der Geschichte«, das Ausbleiben echter Emanzipation, echten Menschseins etc. Eigentlich bedauerte er, dass die anderen Menschen nicht danach strebten, so zu sein, wie er. Aber es sind auch in früheren Zeiten nie alle privilegierten Menschen Bildungs- und Kulturbürger gewesen.

Adorno war von seiner Herkunft, seiner Mentalität, seiner Auffassungen und seines Verhaltens her durch und durch elitär und aristokratisch! Er gefiel sich in der Rolle des »Snobs«. Er verkehrte in den 20er und beginnenden 30er Jahren in großbürgerlichen Kreisen. Die Hinwendung dieser Kreise zum Faschismus ignorierte er. (Laut Fritz J. Raddatz hat Adorno noch 1937 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer gestellt. Quelle: Philosophisches Quartett – Entlarvte Biographien, 3SAT 23.11.03) Dass Adorno als ein Hauptvertreter der Frankfurter Schule politisch und wissenschaftlich gleichzeitig zum linken Lager gehörte, ist damit eigentlich nicht vereinbar, steht im Widerspruch dazu. Diesen Widerspruch hat Adorno nie versucht aufzulösen, soweit er sich dieses Widerspruchs überhaupt bewusst war. (Und es lassen sich nicht alle Widersprüche damit abtun, dass die Welt dialektisch betrachtet nun mal widersprüchlich ist.)

Adorno war ein eitler Esoteriker und Denkvirtuose, dessen sehr komplexe Denkgebäude zwar seine intellektuelle Leistungsfähigkeit demonstrierten, die aber für das praktische Leben, für gesellschaftliche Veränderungen wertlos waren, weil sie auf falschen Grundannahmen bzw. der Ausklammerung wichtiger Bereiche beruhten. Die naturwissenschaftlich-biologische Beschäftigung mit dem Menschen hat gefehlt. Das natürliche Fundament aller menschlichen Aktivitäten, Gefühle, Möglichkeiten etc., der materielle menschliche Körper, das materielle menschliche Gehirn war für den  Materialisten Adorno kein Forschungsgegenstand.

Weitere Kritik bei:  Kritik an der Kritischen Theorie.


Literaur und Sekundärliteratur

Literaur (Auswahl)

Sekundärliteratur


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Anmerkungen

Anm. 1: Die britische Mentalität war Adorno zutiefst fremd. Adorno war ein typisch deutscher Philosoph in der Tradition des Deutschen Idealismus – besonders Hegels und Husserls –, sosehr er sich selbst auch als Kritiker dieses  Idealismus verstand und sich  Materialist genannt hat. Mit englischem Tatsachensinn, Empirismus, mit Philosophen wie Locke, Hume, Spencer, Mill etc. – soweit er sie überhaupt mehr als nur den Namen nach gekannt hat – wusste er wohl nichts anzufangen. Zum Vergleich: Popper – vergleichbares Alter, vergleichbare soziale und ethnische Herkunft – passte gut zur britischen Mentalität. Zurück zum Text

Anm. 2: Bei allen sonstigen Differenzen, dieses Lebensmotto unterstütze ich! (Obwohl meine Lebensumstände in meiner Kindheit weit eintfernt sind, von Adornos idealen Lebensumständen in seiner Kindheit.) Ich bin inzwischen 60 und kann mich mit dem, was man »erwachsen« nennt, bis heute nicht anfreunden. Schon gar nicht mit der unter Erwachsenen weitverbreiteten Karrieresucht und Geldgier. Zurück zum Text

Anm. 3: An diesem Beispiel sieht man wieder einmal, dass es im akademischen Leben nicht nur um die Erbringung einer wissenschaftlichen Leistung geht, es geht sehr oft – manchmal sogar nur – darum, dass man schreibt, was der jeweilige akademische Vorgesetzte hören will. Mit der gleichen Arbeit bekommt man an der einen Universität den Doktor incl. summa cum laude, an der andere Universität fällt man damit durch und ist für den Rest seines Lebens ein Versager. Diese weitverbreitete akademische Praxis entwertet akademische Titel gewaltig, jedenfalls für diejenigen, die ein bisschen hinter die Kulissen kucken. Damit will ich nicht etwa behaupten, Doktoren und Professoren seien in der Regel Schmeichler und Kriecher, die sonst nicht taugen. Eine solche Auffassung wäre undifferenziert und dumm. Aber aus seinen tagtäglichen Leistungen, aus seinen Veröffentlichungen ist der Wert eines Wissenschaftlers ersichtlich, nicht aus seinen Titeln. – Viele Menschen lassen sich durch akademische Titel allerdings beeindrucken. So sagt schon Faust zu Wagner: »Bewundrung von Kindern und Affen, wenn euch danach der Gaumen steht ...« (Faust 1) Etwas weiter unten, wo Mephistopheles dem Schüler rät: »Besonders lernt die Weiber führen« heißt es dann: »Ein Titel muss sie erst vertraulich machen, dass eure Kunst viel Künste übersteigt; ...« Zurück zum Text

Anm. 4: Wenn Leute, die das Glück haben, in eine privilegierte Schicht hineingeboren zu werden, keine materiellen Probleme haben, in der Kindheit und Jugend viel Bildung mitbekommen, wenn solche Leute nun – anstatt das mal ein bisschen zu schätzen – anfangen, rumzujammern, über ihr Leiden in der Gesellschaft oder in der »Existenz« und nicht über das materielle Leid der Unterprivilegierten, der Hungernden, der Kranken, der nach Wissen hungernden, die aber keine Bildungschancen haben, dann empfinde ich ein solches Rumgejammer als Unverschämtheit! Es gibt viele Menschen, da hat Leid objektive, von ihnen nicht veränderbare Ursachen. Bei diesen Privilegierten ist es häufig eine Frage der inneren Einstellung, ob man leidet, bzw. wieviel Glück man dem Leben abgewinnen kann. – Vor ca. 20 Jahren, als ich noch vom Stalinismus angekränkelt war, hätte ich gesagt, dem Adorno hätte mal ein Proletarier mit sechs hungernden Kindern eins in die Fresse hauen sollen, als der gerade dabei war seinen geliebten Rehrücken zu verzehren. Heute fordere ich soetwas nicht mehr. Brutale Vorgehensweise gegen Privilegierte verbessert nicht die Welt. Aber so wie ich hin und wieder die Neigung verspüre, wie Nietzsche zu argumentieren – gegen Jammerer – ohne ein Faschist zu sein, so verspüre ich hin und wieder auch noch das Bedürfnis wie ein orthodoxer Kommunist zu argumentieren, ohne ein Stalinist zu sein. Zurück zum Text

Anm. 5: Die Reihe Rowohlt Monographien wendet sich – so habe ich es bisher jedenfalls empfunden – an ein breiteres Publikum. Die Rowohlt Monographie über Adorno ist aber für ein breiteres Publikum nicht geeignet. Ich habe beim Durcharbeiten dieses Buches den Eindruck gewonnen, dass der Autor Hartmut Scheible sich an Adornos Forderung nach Verzicht auf Propädeutik gehalten hat. Hier wird nicht etwa neben der Lebensgeschichte des Philosophen auch Grundthesen seiner Philosophie dargestellt – wie ich es aus anderen Rowohlt Monographien kennen –, sondern hier geht es ohne Umwege direkt in die Kernbereiche der Philosophie Adornos und seiner Auseinandersetzungen mit anderen Philosophen wie Cornelius, Husserl, Hegel, Lukács, etc. Es gibt leider Bücher, die nicht zum Studium der Philosophie einladen, sondern davon abschrecken. Wer sich als Anfänger mit Philosophie oder der Frankfurter Schule bzw. der kritischen Theorie beschäftigen will, dem rate ich davon ab, mit diesem Buch zu beginnen. Dieses Buch kann bestenfalls in der Mitte eines Philosophie-Studiums stehen. Man kann auch sagen, wer dieses Buch verstehen kann, der braucht es eigentlich nicht mehr zu lesen, es sei denn, er interessiert sich ganz speziell für die Darstellung Adornos durch Hartmut Scheible. Zurück zum Text


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