»Das Übel kommt nicht von der Technik, sondern von denen, die sie missbrauchen – mutwillig oder auch nur fahrlässig.« Jacques Yves Cousteau




Peter Möller

Gegen die undifferenzierte Ablehnung der Technik

Technik bedeutet die Gesamtheit aller Werkzeuge, Maschinen, Verfahren, etc. die von den Menschen entwickelt wurden, um unter Ausnutzung der Naturgesetze Teile der sie umgebenden Welt so zu verändern, dass sie sich Bedürfnisse befriedigen können. Konkret: Die Herstellung von Nahrung, Unterkunft, Kleidung, Luxusgegenständen etc.

Am Anfang der Technik steht der Affe, der sich mit einem Grashalm Ameisen aus deren Bau angelt oder mit Stock oder Stein Nüsse aufschlägt. [1] Wer ohne jede Technik leben wollte, der müsste nicht nur hinter die moderne Industriegesellschaft, nicht nur hinter den Menschen zurück, sondern auch hinter den Schimpansen, der bereits Werkzeuge benutzt.

Wer Technik ablehnt, lehnt tatsächlich immer nur bestimmte Formen, bzw. Bereiche der Technik ab. Häufig sind sich die Kritiker der Technik dessen gar nicht bewusst. Es gibt keinen Menschen, der ohne jede Technik, ohne Produkte von Technik lebt. Horkheimer, der große Kritiker der  »Instrumentellen Vernunft« trug eine Brille, die Ergebnis Instrumenteller Vernunft, sprich von Wissenschaft und Technik war. Auch Adornos Klavier hätte es ohne Technik nicht gegeben. Selbst Heideggers karge Schwarzwaldhütte war das Ergebnis von Technik, war schon  »Vernutzung«, seine Wasserpumpe war schon  »Gestell«. (Auch wenn Heidegger selbst das anders gesehen haben sollte.) Hätten sie tatsächlich ohne jede Technik auskommen wollen, sie hätten sich unter das Niveau der Primaten begeben müssen.

Die Kritiker der Technik sehen in der Regel nicht deren Ambivalenz. Vernichtungslager und Atombomben sind Technik, Apparatemedizin [2] und Kunstdünger sind auch Technik. Das eine dient der Vernichtung von Menschen, das andere der Erhaltung von Menschen. Statt hier zu unterscheiden, wird Technik schlechthin abgelehnt und auf angeblich ideale Zustände verwiesen, in denen die Menschen noch in Übereinstimmung mit der Natur gelebt hätten, das ökologische Gleichgewicht gewahrt gewesen sei. Häufig wird ein solcher Zustand als »Paradies« bezeichnet. Aber diese »paradiesischen« Zustände bedeuteten Knochenarbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend, niedriger Lebensstandart, niedrige Lebenserwartung, hohe Kindersterblichkeit, primitive Weltanschauungen etc. (Die Lebenserwartung hat sich durch Fortschritte in der Medizin, der Lebensmittelversorgung und der Hygiene in den letzten 100 Jahren in den Industrienationen verdoppelt. – Zu Beginn meines Essays Gegen die Idealisierung der Natur habe ich mich kurz darüber ausgelassen, was für ein »Paradies« die vom Menschen unabhängige Natur darstellt.)

Ohne Wissenschaft und Technik wären viele von uns gar nicht am Leben, weil wir in früheren Jahren an Krankheiten oder Hunger gestorben wären oder weil unsere Eltern oder Großeltern bereits in ihrer Kindheit gestorben wären.

Obwohl ich ein stark technophiler Mensch bin, befürworte ich keineswegs alle Bereiche bzw. Formen von Technik. Problematisch ist Technik, wenn sie ein zu hohes Gefahrenpotential beinhaltet – z. B. Wiederaufbereitungsanlagen von radioaktiven Stoffen – oder wenn sie nur noch das Bedürfnis der Geldgier befriedigt. Beides trifft aber für den größten Teil der modernen Technik nicht zu.

Technik kann im Verlaufe der »Überwucherung des Mittels über den Zweck« (siehe  Vaihinger) selbst zum Bedürfnis werden. Dagegen ist im Prinzip ersteinmal nichts einzuwenden. Auch andere ehemalige Mittel sind inzwischen zum Selbstzweck geworden. (Z. B. Essen und Sex.) Wenn Technik aber nicht mehr an humanistischen Wertvorstellungen orientiert ist und wenn kein fühlendes, bewusstes Wesen mehr etwas davon hat, auch dann wird Technik problematisch. Aber auch das trifft für den größten Teil der modernen Technik nicht zu. [3]

Die Vorteile, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt für die Menschen mit sich bringt, wiegen seine Nachteile ganz eindeutig auf. Das Anhalten dieses Fortschritts an einem bestimmten Punkt ist überhaupt nicht möglich. Deshalb ist es wichtig, orientiert an humanistischen Wertvorstellungen auf die weitere Entwicklung der Technik Einfluss zu nehmen.

Der augenblickliche Stand der Technik ist ein Durchgangsstadium. Sehr wahrscheinlich wird es in den nächsten Jahrzehnten beträchtliche Fortschritte geben auf den Gebieten der Bio- und Gentechnologien, der Nano- und Medizintechnologien und der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Diese Fortschritte können das Leben verschönern, z. Z. noch unheilbare Krankheiten kurieren, Lebenszeit verlängern, den materiellen Lebenstandart heben etc. Es wäre verrückt darauf zu verzichten. Allerdings bergen diese Entwicklungen auch Risiken in sich. Diese verringert man aber nicht dadurch, dass man sich dieser Entwicklung entzieht, ohne sie aufhalten zu können.

Eine undifferenzierte Ablehnung der Technik und eine undifferenzierte Idealisierung der Natur abzulehnen, bedeutet nicht, dass einem die globale Umweltzerstörung egal sei oder man diese gar begrüßen würde. Das kurzsichtige Verhalten der Menschen der Natur gegenüber hat aber seine Ursachen in der Natur des Menschen.


Weitere philolex-Beiträge, die sich gegen die undifferenzierte Ablehnung der Technik wenden:


Kommentare anderer Autoren und berühmter Personen zu Technik

Norbert Blüm: »Technik ist wie ein Messer. Man kann damit morden oder damit Brot schneiden.«

Albert Einstein: »Denkt auch daran, dass die Techniker es sind, die erst wahre Demokratie möglich machen. Denn sie erleichtern nicht nur des Menschen Tagewerk, sondern machen auch die Werke der feinsten Denker und Künstler, deren Genuss noch vor kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen war, jedem zugänglich.«

Gerhard Faber: »Wir benötigen eine menschengerechte, fehlertolerante, sanfte Technik, die die Stärken, aber auch die Schwächen des Menschen berücksichtigt.«

Egon Friedell: »Die Maschine ist die souveräne Beherrscherin unseres gegenwärtigen Lebens.« [Ohne Maschine gäb es diesen Text nicht.]

José Ortega y Gasset: »Technik ist die Anstrengung, Anstrengungen zu ersparen.«

Hans-Dietrich Genscher: »Die Zukunft kann besser sein und sie wird besser sein, wenn wir die neuen Technologien richtig verwenden.«

Gabriele Henkel: »Geräte, die man nicht beherrscht, werden disqualifiziert. Technikfeindlichkeit erklärt sich häufig aus dem Umstand, dass man die Bedienungsanleitung nicht versteht.«

Theodor Heuss: »Technik ist immer fortschrittlich, das ist ihr eingeboren, sie hat zu entwerten, was war.«

Karl Jaspers: »Der Krieg ist in wachsendem Umfang kein Kampf mehr, sondern ein Ausrotten durch Technik.«

Karl Kraus: »Die technische Entwicklung wird nur ein Problem übrig lassen: die Hinfälligkeit der Menschennatur.«

Jawaharlal Nehru: »Soweit es die Technik angeht, wird die Welt tatsächlich mehr und mehr zu einer Welt.«

George S. Trimble: »Das größte Hindernis für den wissenschaftlichen Fortschritt ist die Weigerung einiger Leute, Wissenschaftler mit eingeschlossen, zu glauben, dass unbegreiflich scheinende Dinge wirklich geschehen können.«

Richard von Weizsäcker »Um die Technologie zu beherrschen, bedarf es der Zusammenarbeit im Weltverbund.«

Oscar Wilde: »Gegenwärtig konkurriert die Maschine mit dem Menschen. Unter richtigen Verhältnissen wird sie dem Menschen dienen.«


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Anmerkungen

Anm. 1: Nicht wie  Heidegger meint, die abendländische Metaphysik. Außerdem will ich noch anmerken, dass ich als regelmäßiger Zuschauer von Tiersendungen inzwischen mitbekommen habe, dass schon erheblich weniger weit entwickelte Tiere wie die Affen, Werkzeuge benutzen. Mit Grashalmen, kleinen Stöcken und kleinen Steinen arbeiten schon Vögel bei der Futterbeschaffung. Zurück zum Text

Anm. 2: Apparatemedizin ist auch ein beliebter Kritikpunkt der Technikfeinde. Wenn Menschen nur noch durch Apparate am Leben erhalten werden, ohne dass Aussicht auf Genesung besteht, dann finde ich dies problematisch. Aber es gibt auch Menschen, denen die Apparatemedizin das Leben gerettet hat und die anschließend wieder ein normales Leben führen konnten. Auch hier zeigt sich mangelndes Differenzierungsvermögen. Zurück zum Text

Anm. 3: Ich habe in meinem entfernteren Bekanntenkreis einige Alt68er. Lehrer in den 50ern. Da gibt es welche, die ihre Zeugnisse auf alten mechanischen Schreibmaschinen tippen, die sie während ihrer Studentenzeit aus alten Bürobeständen erworben haben. Computer oder gar Internet sind für sie soetwas wie eine Mischung aus Atomkraft und USA-Imperialismus. Aus einstigen Barrikadenstürmern sind alte klapprige Reaktionäre geworden. (Das sind allerdings Erlebnisse aus den 90er Jahren. Computer und Internet erreichen allmählich auch die Rückständigsten.) Zurück zum Text


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