Evolutionäre Erkenntnistheorie


Kurzbeschreibung der Evolutionären Erkenntnistheorie

Die Evolutionäre Erkenntnistheorie baut auf die von Darwin begründete  Evolutionstheorie auf. Unser Körper und damit auch unsere Sinnesorgane, unser Nervensystem und unser Gehirn hätten sich aus einfachsten Anfängen zu immer komplexeren Apparaten oder Strukturen entwickelt und zwar immer in Bezug auf die Umwelt. Die Vernunft sei im Verlauf der Evolution aus Problemsituationen hervorgegangen, welche die (höheren) Tiere zu bewältigen hatten. Unser Gehirn und unsere Sinnesorgane hätten sich entwickelt, um uns das Überleben zu ermöglichen, nicht um objektive Wahrheiten zu erkennen. Für ein das Überleben ermöglichende Handeln sei aber keine 100%ige Übereinstimmung zwischen der objektiven Welt und unserem Bild von dieser Welt nötig. Eine gewisse Nähe zu bestimmten Aspekten dieser objektiven Welt – die für unser Handeln, für unser Überleben von Interesse sind – reiche. Die Natur operiere nicht zuletzt auch nach ökonomischen Prinzipien. Was nicht gebraucht werde, würde nicht realisiert. (Kritik weiter unten.)

Die Welt, in der wir leben, sei nur ein Bild, das wir uns von der objektiven Welt machten. Die objektive Welt und unser subjektives bzw. intersubjektives Bild von dieser objektiven Welt seien zwei verschiedene Dinge. Wären diese beiden Welten aber völlig konträr, könnten wir in der objektiven Welt nicht überleben. (Das ist ein Gedanke, den ich bei vielen Radikalen Konstruktivisten vermisse.)

Kategorien wie Zeit, Raum und Kausalität seien angeboren. Nicht das einzelne Individuum habe sie durch Erfahrung erworben, aber die menschliche Gattung habe sie durch Erfahrung über viele Generationen hinweg erworben. Diese Erfahrungen hätten sich niedergeschlagen in der Arbeitsweise unseres Gehirns. (Interessant in diesem Zusammenhang ist die Theorie Kants über  Raum und Zeit und  Kausalität und wie  Hoimar von Ditfurth diese Theorie im Lichte der wissenschaftlichen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts interpretiert.)

Das im Verlaufe der Evolution entstandene menschliche Gehirn nennt  Egon Brunswik »ratiomorphen Apparat«. Nach  Rupert Riedl bildet dieser u. a. folgende  Hypothesen: (Wir vermuten:)



Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie

Bartley, William Warren (1934–1990). Erkenntnistheoretiker. Vertreter der  Evolutionären Erkenntnistheorie. Nähe zum Kritischen Rationalismus. Wichtiges Werk: The Retreat to Commitment; dt. Die Flucht ins Engagement.

Brunswik, Egon (1903–1955). Österreichischer Biologe. Beschäftigte sich mit dem Gehirn und der Erkenntnistheorie. Hat Bedeutung für die  Evolutionäre Erkenntnistheorie.

Ditfurth, Hoimar von (1921–1989). Siehe Extraseite.

Riedl, Rupert (1925–2005). Österreichischer Zoologe, Evolutionsforscher, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker. Hat Bedeutung für die  Evolutionäre Erkenntnistheorie. Entschiedener Kritiker des Kausalitätsdenkens. (Wie  Hume.) »Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.«

Lorenz, Konrad (1903–1989). Sein Buch Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie aus dem Jahre 1941 wurde richtungweisend für die Evolutionäre Erkenntnistheorie. Siehe Extraseite.

Popper, Karl (1902–1994). Siehe Extraseite.

Vollmer, Gerhard (*1943). Vertreter der  Evolutionären Erkenntnistheorie. Literatur: Was können wir wissen? Band 1 + 2, 1988.


Kritik an der Evolutionären Erkenntnistheorie

Begrüßenswert an der Evolutionären Erkenntnistheorie ist, dass hier naturwissenschaftliche und philosophische Gedanken zusammenkommen. Leider ist es vielfach immer noch so, dass Naturwissenschaftler und Philosophen von der Arbeit der jeweils Anderen keine Kenntnis nehmen.

Aus der Problemsituation können durch Lernen – durch  trail and error – Strategien hervorgehen, die Probleme lösen. Doch dass ein Wesen auch um diese Probleme und um seine eigene Existenz weiß, ist nicht notwendig. Die Entstehung von Vernunft lässt sich mit der Evolutionären Erkenntnistheorie erklären, nicht aber die Entstehung von Bewusstsein.

Außerdem stellt sich die Frage, warum können wir denn soviel erkennen, was wir für unser Überleben nicht benötigen, z. B. Mathematik und Naturwissenschaft, Entwicklung philosophischer Systeme etc. Hier scheint das oben erwähnten ökonomischen Prinzip nicht zu gelten. Entstehen hier intellektuelle Fähigkeiten als nicht notwendige Begleiterscheinungen der Entwicklung unserer Erkenntnismöglichkeiten? Siehe hierzu das  kategoriale Novum Nicolai Hartmanns,  Vaihingers »allgemeines Gesetz der Überwucherung des Mittels über den Zweck« und  Wundts »Heterogonie«.

Da unser Wissen über die objektive Realität hypothetisch ist, bleibt auch die Evolutionären Erkenntnistheorie eine – wenn auch plausible –  Hypothese. Das erwähne ich deshalb, weil einige naturwissenschaftlich-biologisch orientierte Philosophen, bzw. Naturwissenschaftler, die philosophische Gedanken in ihre Theorien einfließen lassen – z. B. Hoimar von Ditfurth –, aus der Evolutionären Erkenntnistheorie schon wieder eine absolute Wahrheit gemacht haben.


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