Blaise Pascal (16231662) war ein französischer Philosoph, Physiker und Mathematiker. Er war Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Konstrukteur einer Rechenmaschine. Beeinflüsst war er von Descartes und Montaigne. Gleichzeitig war er ein tiefreligiöser Mensch. Daraus ergaben sich Widersprüche. Pascal zeigte viele gute Beispiele für die Sinnhaftigkeit des Skeptizismus, fiel dann aber in einen blinden Glauben, der die inhumane Prädestinationslehre beinhaltete. Viele seiner Gedanken nahmen den Existentialismus vorweg. Besonders beeinflusste er Kierkegaard und Heidegger.
Mathematik: Pascal war wie viele gebildeten Menschen seiner Zeit der Auffassung, dass die Mathematik den Ideal-Typus der Wissenschaft darstellt.
Deduktion und Erfahrung: Die Formalwissenschaften (Mathematik und Logik) und die Erfahrungswissenschaften bräuchten unterschiedliche Methoden. Bei den ersteren reiche das deduktive Verfahren, bei den letzteren müsse die Deduktion durch Erfahrung ergänzt werden.
Falsifikation: Aussagen über mathematische Gegenstände und Aussagen über Naturdinge hätten nicht die gleiche Wertigkeit. Man könne nie experimentell überprüfen, ob alle Dinge einer unbeschränkten Klasse eine bestimmte Eigenschaft haben oder nicht. Ein eindeutiges Ergebnis habe eine experimentelle Prüfung nur bei negativen Ausgang. [Ähnlich wie Fr. Bacon, Hume und Popper.]
Wissenschaft als nie endender Prozess: Pascal vertrat die Auffassung von der Geschichtlichkeit des Wissens. Wir könnten nur deshalb über unsere Vorfahren hinaussehen, weil wir auf ihren Schultern stünden. Ihre von uns oft verworfenen Erkenntnisse seien nicht einfach falsch oder nutzlos. (Als solches hatte Descartes den größten Teil der philosophischen und wissenschaftlichen Überlieferungen angesehen.) Das Wissen unserer Ahnen sei häufig Voraussetzung für unseren Erkenntnisstand. Aber so wie wir über unsere Vorfahren hinausgingen, so würden einst unsere Nachfahren über uns hinausgehen. [Eine Einstellung, die ich manchem modernen Naturwissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten empfehlen möchte!]
Die Grenzen des Definierens und Beweisens: An der Mathematik zeige sich, dass die Methode des Definierens und Beweisens Notwendigerweise an Grenzen komme. Dort müsse man dann bestimmte Grundsätze anerkennen und an ihnen festhalten. Diese Prinzipien seien weder beweisbar noch definierbar. Ihre Anerkennung erfolge durch das Herz. (Man kann auch von intuitiver Erkenntnis sprechen.) Es sei aussichtslos, wenn die Vernunft diese durch das Herz erkannten Prinzipien bekämpfen wolle.
Gewohnheiten: Unsere Prinzipien seien nichts anderes als Gewohnheiten. Hätten wir andere Gewohnheiten, hätten wir auch andere Prinzipien. [ ! ]
Das Spannungsverhältnis zwischen Vernunft und Gefühl erzeuge einen »Bürgerkrieg im Menschen«. Um Frieden zu haben schlage sich der Mensch häufig auf eine Seite, aber das bringe keine Lösung.
Die höchste Form der Verstandeserkenntnis sei, dass der Verstand seine eigenen Grenzen erkenne. Ein Verstand, der zu seinen Grenzen nicht vordringe, sei nur schwach ausgebildet. |
Unwissenheit: Der Mensch stehe in der Mitte zwischen dem Nichts und dem All, habe aber mit beidem kein gemeinsames Maß. Diese Lage mache ihn untauglich etwas mit Sicherheit zu wissen oder überhaupt nichts zu wissen. Der Mensch brenne vor Gier nach einem festen Grund, den er aber nicht finde. Unser Denken erkenne unser letztliches Nichtwissen. Das Denken, das die Größe des Menschens ausmache, werde so zugleich zu seinem Elend. Größe und Elend des Menschen bedingten einander. [? Solche Aussagen sind mir unbehaglich. Da ist einfach zuviel Jammerei im Hintergrund.]
Glück sei nur Schein: Pascal versuchte mit aller Kraft den Menschen diese Paradoxie seiner Existenz vor Augen zu führen. Die Menschen aber ließen sich nicht belehren, dass ihr Glück nur Einbildung sei, und dass sie in Wirklichkeit unglücklich seien. Die Menschen zerstreuten sich z. B. mit Jagd, Spiel, öffentlichen Ämtern, aber auch mit Wissenschaft, um an ihre Nichtigkeit, die sie durchaus ahnten, nicht denken zu müssen. Der Mensch sei Größe und Nichtigkeit. Würde sei nur zu erreichen durch Erkenntnis dieser Nichtigkeit und der dann geschenkten Gnade Gottes. Jede Form der Kultur sei eine Flucht vor dieser Erkenntnis.
Das rationale und mathematische Denken lasse unsere tiefsten Bedürfnisse unbefriedigt. Der wissenschaftliche Fortschritt könne das »Wozu« der menschlichen Existenz nicht erklären.
Religion: Allein in der religiösen Hoffnung auf Erlösung sieht Pascal die Möglichkeit diesem Paradoxon zu entkommen.
Jansenismus: Pascal gehörte zur religiösen Bewegung des Jansenismus, so benannt nach Cornelius Jansen. Dieser vertrat wie Augustinus die Auffassung, dass der Mensch aus eigener Kraft völlig unfähig zum Guten sei. Gott allein sei es, der den jeweiligen Menschen erwähle. [Oder eben auch nicht.] Zu dieser Erwählung könne der einzelne Mensch nichts beitragen, er könne sich nur ganz Gott hingeben. So legten die Jansenisten größten Wert auf die persönliche Frömmigkeit des Einzelnen. Sie strebten eine tiefe persönliche Liebe zu Gott an und waren in Fragen der Moral sehr streng. So spricht Pascal von der Unbeeinflussbarkeit der göttlichen Gnade. Aber auch von einer unendlichen Ferne zwischen Gott und den Menschen. Die Jansenisten standen mit ihren Auffassungen im Gegensatz zu den Jesuiten, die das menschliche Vermögen, gute Werke zu tun, in den Vordergrund stellten. Der Jansenismus wurde letztlich unterdrückt. [Da haben die mal etwas unterdrückt, das unterdrückt gehört!]
Dass aus Sicht der Vernunft die christlichen Lehre vielfach widersprüchlich ist, wusste Pascal, hat die Widersprüche mit aller Klarheit dargestellt. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich dem Christentum weiterhin verpflichtet zu fühlen.
Pascal war überzeugt von der Sündhaftigkeit des Menschen. Er hatte wahrscheinlich starke Schuldkomplexe wie Luther.
»Pascalsche Wette«: Pascal stellte die Wette auf, dass es auf jeden Fall besser sei, an Gott zu glauben, als nicht an ihn zu glauben. Es gäbe vier Möglichkeiten:
Man glaubt an Gott | Es gibt Gott | Man wird belohnt |
Man glaubt an Gott | Es gibt keinen Gott | Es passiert nichts |
Man glaubt nicht an Gott | Es gibt keinen Gott | Es passiert nichts |
Man glaubt nicht an Gott | Es gibt Gott | Man wird bestraft |
An Pascal sieht man wieder mal, wie Genie und Dummheit in einem Menschen nebeneinander vorhanden sein können. Seine mathematischen und physikalischen Entdeckungen waren Geniestreiche, seine Verteidigung des Christentum, des Jansenismus und damit auch der inhumanen Prädestinationslehre von Augustinus ist ein Zeichen geistiger Beschränktheit.
Pascal hatte Angst vor seinen Erkenntnissen bekommen (dass kein sicheres Wissen möglich ist), und sich in die Religion geflüchtet, sich mit religiösem Opium betäubt. Die Einen flüchten sich ins Leben und die Anderen flüchten sich in die Religion. Ich ziehe die Flucht ins Leben vor.
Dass Pascal letztlich in einen blinden Glauben fiel, ändert nichts daran, dass viele seiner Gedanken hervorragende Stützen des Skeptizismus sind.
Pascal war sein Lebenlang fast nie ohne Schmerzen. Auch das hat Auswirkung darauf, was für eine Philosophie oder sonstige Weltanschauung man sich bildet. Mit unseren heutigen Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung hätte man vielen der damals Leidenden helfen können und sie hätten dann wahrscheinlich andere Weltanschauungen entwickelt. (Und unsere heutigen Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung sind wahrscheinlich auch nur eine Durchgangsphase. Den nächsten Generationen wird vielleicht manches erspart bleiben, was uns jetzt Lebenden noch nicht erspart bleibt.)
Dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess das »Wozu« des Menschen nicht erklären kann, sehe ich genauso. Aber vielleicht gibt es gar kein »Wozu«. Jedenfalls keines, das unabhängig vom Menschen existiert, unabhängig davon, was der Mensch aus seiner Existenz macht. Ganz abgesehen davon, kann man statt religiös zu werden, auch philosophisch werden. Dann kann man seine in der Wissenschaft verwendete Vernunft beibehalten und muss sie nicht religiösen Dogmen opfern.
Zur »Pascalschen Wette«: Es gibt viele Einwände gegen die Argumentation Pascals. Ich will hier nur ein paar anführen. Nach Pascal gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es den christlichen Gott, der wie in der Bibel behauptet, den Glauben an ihn belohnt und Unglaube bestraft oder es gibt keinen Gott. Tatsächlich gibt es aber unzählbar weitere Möglichkeiten. Es könnte z. B. sein, dass es den Gott einer anderen Religion gibt, der alle Menschen, die nicht an ihn glauben, einschließlich der Christen, später in die Hölle steckt. Es könnte auch sein, dass es einen Gott gibt, der kritisches Denken und Skeptizismus belohnt, blinden Glauben oder berechnendes Denken bestraft. Aber selbst wenn es nur die beiden Alternativen gäbe, die Pascal anführt, auch dann könnte man beim Glauben an Gott etwas verlieren: Seine intellektuelle Aufrichtigkeit! Sich selbst und anderen gegenüber. Man kann sich selbst betrügen. Man kann der Hoffnung auf Erlösung sein Erkenntnisvermögen opfern und sich zum Idioten machen.
Es hat eine ganze Menge intellektuell sehr leistungsstarker Menschen gegeben, die die Geistesgeschichte der Menschheit bereichert haben, ohne die Grenzen ihres Verstandes erkannt zu haben. Von daher stimmt oben eingerahmte Aussage Pascals nicht ganz. Aber ich stimme mit der Auffassung überein, dass der Verstand Grenzen hat, und dass der Mensch diese Grenzen erkennen sollte.
Pascal spricht davon, dass die Menschen nicht dazu in der Lage seien »in Ruhe allein in ihrem Zimmer zu bleiben.« Ich kann das. Ich praktiziere es häufig. Ich lese, denke und schreibe für mich allein. Andere Menschen würden mich dabei nur stören. (Leider lebe ich in einem hellhörigen Haus und habe deshalb häufig keine Ruhe. Ansonsten könnte ich erheblich mehr schaffen.)
Glück und Unglück haben häufig ihre Ursachen sowohl im inneren Gefühlsleben, wie in den Lebensumständen. Einem Menschen, der sich glücklich fühlt, zu erzählen, er sei in Wirklichkeit unglücklich, ist genauso abwegig, wie einem Menschen, der sich unglücklich fühlt, zu erzählen, er sei in Wirklichkeit glücklich. Entscheidet ist bei Glück und Unglück immer das subjektive Empfinden. Was man allerdings einigen bzw. vielen Menschen sagen kann, ist: Bei euren Lebensumständen habt ihr eigentlich keinen Grund, unglücklich zu sein.
»Es gibt sehr viele Leute, die glauben aber aus Aberglaube.«
»Zu unserer Natur gehört die Bewegung, die vollkommene Ruhe ist der Tod.«
»Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit.«
»Wir begnügen uns nicht mit dem Leben, das wir aus unserem eigenen Sein haben; wir wollen in der Vorstellung der anderen ein imaginäres Leben führen, und darum strengen wir uns an, in Erscheinung zu treten.« [Deshalb mache ich das philolex!]
»Freundliche Worte kosten nichts und bringen viel ein.«
»Die Gerechtigkeit ist ohnmächtig ohne die Macht; die Macht ist tyrannisch ohne die Gerechtigkeit.«
»Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns wirklich gehört.« [Nur in ihr sind wir!]
»Gott ist nicht allmächtig. [...] Er kann keinen Stein machen, den er nicht heben kann.«
»Es gibt eine Vernunft des Herzens, die der Verstand nicht kennt. Man erfährt es bei tausend Dingen.«
»Ideale sind wie Sterne: Man kann sie zwar nicht erreichen, aber man kann sich sehr wohl an ihnen orientieren.«
»Sich über die Philosophie lustig machen, das heißt in Wahrheit philosophieren.«
»Die Macht ist die Königin der Welt, und nicht die Meinung der Leute. Aber die Macht gebraucht die Meinung. Und die Macht macht die Meinungen.« [Schon damals! Als die Medien (Zeitungen, Fernsehen) noch nicht waren.]
»Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht.«
»Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur; aber er ist ein denkendes Schilfrohr. Es ist nicht nötig, dass das ganze Weltall sich waffne, ihn zu zermalmen: Ein Dampf, ein Wassertropfen genügen, um ihn zu töten.«
»Was ist zum Schluss der Mensch in der Natur? Ein Nichts vor dem Unendlichen, ein All gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und All.«
»Jeder trägt in sich das Urbild der Schönheit, deren Abbild er in der großen Welt sucht.« [Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Genauer: Es sind Muster, die wir in verschiedenen Hirnregionen gespeichert haben.]
»Es gibt zwei gefährliche Abwege: die Vernunft schlechthin abzulegen und außer der Vernunft nichts anzuerkennen.«
»Die höchste Form der Verstandeserkenntnis ist, dass der Verstand seine eigenen Grenzen erkennt. Ein Verstand, der zu seinen Grenzen nicht vordringt, ist nur schwach ausgebildet.«
»Das Weltall ist eine Kugel, deren Mittelpunkt überall, deren Oberfläche nirgends ist.« [Dieses Zitat gibt es im Internet in anderen Übersetzungen. 250 Jahre vor der Relativitätstheorie wusste Pascal das schon!]
»Das Wort kann den Sinn wechseln, je nachdem, wer es ausspricht.« [Schon deshalb reden Menschen oft aneinander vorbei. Das Wort ändert seinen Sinn auch innerhalb verschiedener Zusammenhänge.]
Anmerkungen