Existenzphilosophie – Existentialismus


Existenzphilosophie kurz und knapp

Die Existenzphilosophie war eine bedeutende philosophische Strömung im 20. Jahrhundert. Besonders großen Einfluss – auch gerade über den speziell philosophischen Bereich hinaus – hatte sie in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg. Existentialismus ist ganz grob gesagt die französische Variante dieser Philosophie. Die Philosophen, die gemeinhin Existenzphilosophen oder Existentialisten genannt werden, haben eine ähnliche Vorstellung von menschlicher Existenz und menschlichen Problemen, unterscheiden sich im weiteren dann aber z. T. beträchtlich! Deshalb ist der Oberbegriff Existenzphilosophie mit Vorsicht zu genießen.

Als »Ahnherr« der Existenzphilosophie wird in der Regel Kierkegaard genannt. Als Vertreter der deutschen Existenzphilosophie werden besonders Heidegger und Jaspers genannt (die selbst diese Bezeichnung für ihre Philosophie ablehnten), als Vertreter des französischen Existentialismus Sartre, Camus, Merleau-Ponty und Marcel. Unter den älteren Philosophen werden zuweilen auch Pascal und Nietzsche zu den Existenzphilosophen gerechnet.

Als Existenzphilosophen bzw. Existentialisten gelten diejenigen Philosophen, die die Fragen der menschlichen Existenz in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, nicht die Fragen nach dem Sein, der Welt, nach dem Allgemeinen, nicht einmal vorrangig nach dem allgemein menschlichen, sondern nach der Existenz und den Handlungsoptionen, eventuell Handlungsmaximen, Lebenseinstellung und Lebensführung des jeweiligen einzelnen Individuums. Gerade die in der Philosophie verbreitete Verallgemeinerung, die Suche nach Wesenszügen, nach Allgeinbegriffen wird in der Existenzphilosophie kritisch gesehen, bzw. abgelehnt. Existenz sei immer konkret. Existenz bedeutet hier das persönliche, individuelle, einmalige, subjektive Sein eines Menschen.

Bestimmte Bewusstseinszustände, Erfahrungen, persönliche Gestimmtheiten etc. ließen sich mit Wörtern schlecht oder gar nicht beschreiben und vermitteln. Der einzelne Mensch müsse solche Erlebnisse selbst haben, um verstehen zu können, was sie sind, was sie bedeuten. [1] So ist auch mit dem, was Existenzphilosophen unter »Existenz« verstehen. Existenz bedeutet hier etwas anderes als in der Umgangssprache oder in der Naturwissenschaft. Existenz im Sinne der Existenzphilosophie haben nur Menschen, können nur Menschen haben. Menschliches Sein unterscheide sich fundamental von allem anderen Sein. Existenz sei ein letztes nicht hintergehbares Sein, welches durch Faktizität, Endlichkeit, Geschichtlichkeit/Zeitlichkeit, Freiheit und Möglichkeit bestimmt sei, sich verlieren oder finden, sich entwerfen und wählen könne, bzw. müsse. Diese Existenz sei rational weder erfassbar noch erklärbar. Durch Gefühle wie Angst, Ekel, Absurdität, Langeweile, durch Grenzsituationen wie Tod, Schuld, Kampf, Verzweiflung, Scheitern, Schicksalsschläge erführe man, was Existenz ist. [Menschen, die ein »normales« Leben führen, keine größeren psychische Probleme haben und keine größeren Schicksalsschläge erleiden müssen, können also zur Erkenntnis, was menschliche Existenz ist, nicht gelangen. Bestenfalls können die gesunden bzw. glücklichen von den kranken bzw. unglücklichen Menschen erfahren, was Existenz ist, es irgendwie entfernt erahnen. Ich weiß, was Existenz im Sinne des Existentialismus ist. Auch ohne Grenzsituationen. Andere Menschen bedürfen eventuell solcher zur betreffenden Erkenntnis.]

Existenz ist Freiheit in einer Situation und Geworfenheit in eine Situation. Der Mensch hat sich die Situation, in der er ist, in der Regel nicht ausgesucht und er ist in der Regel frei in seinen Entscheidungen. Er hat verschiedene Möglichkeit des Handelns.

Der Mensch sei kein unveränderliches statisches Wesen, Existenz sei etwas dynamisches, sei Aufgabe und Vollzug. Im Verlaufe ihrer freien Entscheidungen könnten die Menschen allerdings zu einer unwahren, uneigentlichen Existenz kommen. [Das setzt voraus, dass es eine wahre, eigentlich Existenz gibt. (Siehe auch  attributiver Wahrheitsbegriff.) Nun wollen die Existenzphilosophen aber gerade allgemein verbindliche Aussagen über den Menschen nicht machen. Wer entscheidet, was wahre, eigentliche Existenz ist?]

Es gibt sowohl religiöse wie atheistische Existenzphilosophen. Für die Atheisten steht der Mensch den Problemen allein und hoffnungslos gegenüber bzw. muss sich durch sein Verhalten, durch seine Lebenseinstellung selbst »retten«, z. B. durch Engagement für andere Menschen, durch Engagement in Politik, Gesellschaft, Kunst etc. Religiöse Existenzphilosophen sehen die Rettung in der Hingabe an Gott.

Existenzphilosophie ist Subjektphilosophie. [Nichts desto Trotz haben sich einige der hier aufgeführten Philosophen, z. B. Heidegger und Sartre, sehr intensiv mit dem Sein beschäftigt.]


Meine Erklärung und Kritik der Existenzphilosophie

Die Existenzphilosophie ist vor dem Hintergrund der Erschütterungen der Zeit und der Entwurzelung vieler Menschen zu verstehen. Die durch die Weltkriege erschütterte bürgerliche  Moral und bürgerliche Selbstsicherheit, der Rückgang traditioneller religiöser Überzeugungen, der bei vielen Menschen zerstörte Glaube an die menschliche Vernunft und am politischen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Das alles führte dazu, dass besonders viele Intellektuelle und Künstler im Leben, in der Welt, im Sein keinen Sinn sehen konnten. Das führte vielfach dazu, dass Menschen alle Bindungen ablehnten. Jeder Mensch müsse seinen eigenen Weg finden, sich sein eigenes Sein geben.

Keine bzw. eine zu optimistische Erkenntnistheorie: Aufbauend auf die Phänomenologie Husserls glauben die Existentialisten objektive Aussagen über das Sein, über den Menschen machen zu können. Husserls angebliche Überwindung des Subjektivismus, Relativismus und Psychologismus überzeugt mich aber nicht. Die Existentialisten haben keine skeptische Distanz zu ihren eigenen Überzeugungen. Deshalb sprechen sie sich auch untereinander gegenseitig die Wahrheit ab, sind faktisch Dogmatiker.

Fehlender oder mangelhafter Bezug zur Naturwissenschaft: Wenn ich mich einmal auf die Welt einlasse, dann ist die Natur und die inzwischen entstandene Naturwissenschaft ein sehr wichtiger Teil dieser Welt. Philosophieren im 20. Jahrhundert ohne Einbeziehung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse halte ich für falsch.

Wie falsch ein solch mangelhafter Bezug zur Naturwissenschaft ist, zeigt sich im Anthropozentrismus. Der Mensch ist das gegenwärtig höchste Produkt der Evolution des Lebens auf diesem Planeten – unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnisfähigkeit jedenfalls. Es gibt keinen einsichtigen Grund den Menschen als Endglied der Evolution oder als einziges intelligentes Wesen im Universum anzusehen. (Die Tiere sind in vielen Dingen Vorstufen des Menschen. Auch dies wird in der Regel nicht gewürdigt.) Aus dieser Perspektive ist Heideggers Auffassung, der Mensch sei der »Hirte des Seins«, absurd. (Einen kurzen Überblick über die Evolution gebe ich in meiner Kleinen Zeittafel der Evolution und der Entwicklung von Wissenschaft und Technik.)

Es sind allgemeine Aussagen über den Menschen möglich, ansonsten könnten wir alle Humanwissenschaften vergessen. Wie könnten wir eine Psychologie oder eine Pädagogik haben, deren praktischer Wert für mich offensichtlich ist, wenn keine allgemeinen Aussagen über den Menschen möglich wären? Allerdings sind alle diese Aussagen letztlich  Hypothesen. Die Existentialisten machen dagegen – wider ihren Grundüberzeugungen! – Aussagen über die menschliche Existenz, die sie als unumstößlich richtig ansehen, z. B. die Endlichkeit und Geschichtlichkeit der Existenz, die Freiheit des Menschen.

Die Freiheit zur Wahl ist durch die konkreten Lebensumstände und durch die jeweilige subjektive Befindlichkeit eingeschränkt bzw. bestimmt. Einem Menschen in einem Slum der 3. Welt zu erklären, er können sein Leben frei wählen, wäre zynisch. (Sartre hat das – allerdings erst in späteren Zeiten seines Philosophierens – zugestanden.)

Welche Philosophie ein Mensch hat, hat zumindest z. T. etwas mit seiner Mentalität zu tun, mit seiner konkreten psychischen Struktur. Auch mit »Macken«. Minderwertigkeitskomplexe, Schuldkomplexe, überdurchschnittliche Ängstlichkeit (wobei die Angst keinen konkreten Inhalt hat), übertriebene Schüchternheit, der starke Wunsch irgendwo einen »großen Bruder« (oder eben auch einen »Herrn«) zu haben ( Feuerbach) u. v. ä. m. Und nun nehmen einige Menschen (im übertragenen Sinne) eine Küchenrollen, und wälzen ihre Probleme nach allen Seiten aus. Und wenn sie einige hundert Seiten zusammen haben, geben sie das als philosophisches Buch heraus ;-) Die Existentialisten bzw. Existenzphilosophen sind Paradebeispiele für eine solche Vorgehensweise.

Ich mache niemandem einen Vorwurf daraus, krank zu sein. Wäre ja absurd. Aber ich bestreite ganz entschieden, dass kranke Menschen einen Erkenntnisvorteil gegenüber gesunden Menschen haben, dass psychisch Kranke besonders dazu geeignet sind, etwas über den Menschen auszusagen. Sie mögen manches erkennen und darlegen, zu dem psychisch gesunde Menschen keinen unmittelbaren Zugang haben. Diese Gedanken können anderen psychisch Kranken durchaus helfen. Aber es gibt auch vieles, womit psychisch Kranke sich beschäftigen (müssen), was für psychisch gesunde keine Bedeutung hat, keine Bedeutung haben muss.

Vergleiche hinken bekanntlich. Physische und psychische Erkrankungen sind qualitativ verschieden. Aber um mal die Richtung anzudeuten:

Wenn ein Mensch sich ein Bein gebrochen hat, dann wäre es absurd, wenn er annehmen würde, gerade wegen seines gebrochenen Beins sei er besonders geeignet, an einem Marathonlauf teilzunehmen.




Anmerkungen

Anm. 1: Dem zu grunde liegt die Tatsache, das Erkenntnis, Wissen u. ä. nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Aspekt hat. Das zu verstehen, setzt aber wiederum voraus, dass der einzelne Mensch aus seinem eigene Erleben heraus weiß, was unterschiedlcihe Qualitäten bezogen auf Wissen, auf Bewusstseinsinhalte bedeutet. Zurück zum Text


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