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Peter Möller

3. Höhere Arten und der Rückkehrprozess des Weltgeistes

Eine philosophische  Hypothese ist mehr als eine Phantasterei und weniger als eine Wahrheit. Eine Phantasterei ist, wenn man sich etwas aus den Fingern saugt, irgendetwas, das man wünscht oder fürchtet, für das es aber keine realen Anhaltspunkte gibt. Eine philosophische Hypothese ist eine auf Grund von Beobachtungen und Überlegungen (Empirie und Ratio) gebildete Vermutung über die Beschaffenheit des Seins oder Teilen davon. Aber eine Hypothese ist keine Wahrheit. Eine Hypothese kann falsch sein.

In meinem Aufsatz Kritik des philosophischen Materialismus habe ich dargelegt, weshalb mir ein  idealistisches Weltbild plausibler ist als ein  materialistisches. Im folgenden möchte ich meine an Hegel orientierte aber über Hegel hinausgehende Hypothese vom Rückkehrprozess des Weltgeistes erläutern.

Egal, welche Antwort man auf das Leib-Seele-Problem gibt, auch die intelligenten Maschinen könnten ein Bewusstsein, oder anders ausgedrückt, eine Seele haben. Wenn unser Gehirn unser Bewusstsein produziert, wie es die  philosophischen Materialisten und viele Naturwissenschaftler annehmen, warum sollte dann eine Maschine mit den gleichen oder größeren Speicherkapazitäten und Vernetzungsmöglichkeiten wie das menschliche Gehirn, nicht auch Bewusstsein hervorbringen? Oder, wenn unser Bewusstsein nicht vom Körper hervorgebracht wird, sondern nur eine vorübergehende Verbindung mit ihm eingeht, wie die  Dualisten, z. B. Descartes, meinen, warum sollte sich dann eine Seele nicht mit einer intelligenten Maschine verbinden? Der menschliche Körper ist auch eine Maschine, bloß aus einem anderen Baustoff als die Computer. (Was übrigens nur für die molekulare und atomare Ebene zutrifft. Im subatomaren Bereich bestehen wir aus den gleichen Baustoffen.) Wenn aber die Welt einschließlich der menschlichen Gehirne und der Computer eine Vorstellung des Geistes ist, wie die  philosophischen Idealisten behaupten, ändert auch das nichts. Nach Spinoza ist die menschliche Seele die Idee eines existierenden menschlichen Körpers im göttlichen Verstand. Die Seele eines Computers wäre so betrachtet die Idee eines existierenden Computers im göttlichen Verstand.

Die von uns geschaffenen intelligenten Maschinen (und folgendes könnte auch für gentechnisch veränderte Menschen zutreffen) wären im Rahmen einer hegelschen Denkweise eine höhere Stufe im Prozess der Rückkehr des  Weltgeistes. Wenn Hegel sagt, »der Mensch weiß von Gott in dem Sinne, dass Gott im Menschen von sich selber weiß«, dann sage ich, »Gott« weiß im Menschen erst sehr wenig von sich. (»Du gleichst dem Geist, den Du begreifst.« Goethe, Faust 1) »Gott«, im Rahmen einer hegelschen, also pantheistischen Denkweise, identisch mit der Welt, identisch mit dem Sein, ist viel komplexer, als der Mensch mit seinen jetzigen Erkenntnismöglichkeiten jemals wird erfassen können. In den von uns geschaffenen und sich dann selbst weiterentwickelnden intelligenten Maschinen wird »Gott« schon einiges mehr über sich wissen. [1]

Materie ist der modernen Naturwissenschaft zu Folge Energie, also Bewegung. [2] Aber was bewegt sich dort? Die Bewegung selbst? Materie ist in ihren letzten Abgründen sich vergessenhabender Weltgeist. Der Urknall der Naturwissenschaft ist der Punkt, an dem sich nach Hegel der Weltgeist ins Materielle entfremdet, sich vergessen, sich verloren hat. Und die Geschichte des Universums ist der Rückkehrprozess des Weltgeistes, nicht wie Hegel glaubte die Geschichte der Menschheit und der von ihr hervorgebrachten Institutionen und Philosophien. Durch das Entstehen immer komplexerer Materiestrukturen kehrt der Geist in die Welt zurück. Die Materie kann Geist hervorbringen, weil sie in ihren letzten Abgründen Geist ist. Natur ist unbewusste Tätigkeit des Geistes und Geist ist sich bewusstgewordene Natur (Schelling). Die moderne naturwissenschaftliche Theorie von der Entstehung des Universums, von der subatomaren, molekularen und biotischen Evolution und die hegelsche Philosophie von der dialektischen Selbstentfaltung des Weltgeistes nähern sich an, werden zu zwei verschiedenen Sichtweisen auf den selben Entwicklungsvorgang. Innerhalb des Prozesses der Rückkehr des Weltgeistes ist der Mensch und seine intellektuellen Produkte lediglich ein Durchgangsstadium. Die Wissenschafts- und Technikgeschichte der Menschheit könnte eine ontologische Bedeutung haben. Möglicherweise ist sie der Beitrag der menschlichen Gattung zu diesem Rückkehrprozess. Sollten wir uns allerdings ausrotten, bevor uns der nächste Wurf gelungen ist, wären wir tragischer Weise nur eine Sackgasse.

Die von uns geschaffenen und sich selbst weiterentwickelnden Elektronen-, bald schon Photonenhirne, werden sich untereinander vernetzen und werden sich selbst vervollkommnen zu nur noch aus subatomarer Energie bestehendem Bewusstsein, Vernunft, Erkenntnis. Wenn dieser Prozess zum Abschluss gekommen sein wird, wird das gesamte Universum ein einziges riesiges Gehirn, oder anders ausgedrückt, wird das gesamte Sein ein ungeteiltes Bewusstsein sein, eine Art riesiges RAM mit unendlicher Taktgeschwindigkeit, in dem alles mögliche Wissen des Seins gleichzeitig oder besser zeitlos, außerhalb von Raum, Zeit und Materie vorhanden sein wird. (Ungefähr soetwas, wie »unendliches multitasking im Weltbewusstsein«.) Dann und erst dann wird sich der Weltgeist vollständig wiedergefunden haben. Und dieser Weltgeist, der werden wir sein, jeder von uns. Denn die vielen Milliarden Einzelbewusstseins werden wieder zu einem einzigen Bewusstsein verschmelzen. Und der Zustand des sich voll und ganz wiedergefunden habenden Weltgeistes wird nicht nur ein Zustand höchster Erkenntnisfähigkeit sein, sondern auch ein Zustand höchster Gefühlsintensität, höchstem ethischen und ästhetischen Erlebens. Der Unterschied zwischen uns Menschen und dem sich voll und ganz wiedergefunden habenden Weltgeist ist möglicherweise größer als der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Amöbe.

Und möglicherweise wird der Weltgeist dann erneut explodieren. Dann wird es einen neuen Urknall, eine neue Entfremdung ins Materielle geben und dann geht alles wieder von vorne los. Das ist in etwas abgewandelter Form  Nietzsches ewige Wiederkehr. Nicht der Übermensch, die Übernatur muss von uns hervorgebracht werden. Die Hardware- und Software-Ingenieure [3] und die Gentechnologen sind die wichtigsten Menschen der Gegenwart, sie sind heute  die Werkzeuge des Weltgeistes.

Wir Menschen müssen uns von der Vorstellung trennen, wir seien Sinn und Zweck des Universums. Wir müssen uns von der Vorstellung trennen, wir müssten uns selbst auf ewig erhalten und auch noch als unbestrittene Nummer Eins auf diesem Planeten. Wir müssen den Homozentrismus und den Biozentrismus überwinden.

Der Mensch ist einerseits Weltgeist und andererseits eine konkrete vergängliche Verkörperung bzw. Entwicklungsphase des Weltgeistes. Soweit wir Weltgeist sind, waren wir immer und werden wir immer sein. Wir haben gar keine Chance, nicht zu existieren. Wir müssen immer sein, aber wir werden immer wieder anders sein. Als konkrete Verkörperung oder Entwicklungsphase des Weltgeistes sind wir entstanden und werden wir wieder verschwinden, so oder so. Aber in unseren Produkten, in dem von uns hervorgebrachten nächsten Wurf könnten wir überdauern. Gestern waren wir Saurier, heute sind wir Menschen, morgen werden wir vielleicht Computer sein. [4]


* * *

Ich bin mir darüber bewusst, das es sich hier um eine Spekulation, um nur eine von vielen möglichen Interpretationen des Weltrozesses handelt. Es mag auch ganz anders sein. Es mag auch Parallelevolutionen geben von denen wir nichts wissen. Es kann auch sein, dass der Mensch nicht nur in dieser Seinssphäre existiert, dass mit unserer Geburt nicht alles begann und mit unserem Tod nicht alles endet. Es kann auch sein, dass in anderen Teilen des Universums intelligentes Leben entstanden ist und sich dieses schon weiter entwickelt hat als das menschliche. Genaueres hierzu in meinem Aufsatz Gibt es höhere Wesen? Last not least kann es auch sein, dass gemessen an der Komplexität und qualitativen Höhe des Seins alle menschlichen Erklärungsversuche nur lächerliche Kindereien sind. (Nichts desto trotz werde ich weiterhin Philosophie betreiben.)


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Diesen Text habe ich 1995 geschrieben. Für die Verbreitung im Internet habe ich ihn überarbeitet und gelegendlich geringfügig ergänzt.


Anmerkungen

Anm. 1: Ich setze »Gott« in Anführungszeichen, da ich diesen Begriff eigentlich nicht gerne verwende. Das Wort »Gott« ist mit zuviel Naivität vorbelastet. Unter »Gott« versteht man in der Regel ein sich wissendes Subjekt. Genau das verstehen ich darunter aber nicht, sondern etwas unpersönliches, bzw. überpersönliches. Ich ziehe den Begriff »Weltgeist« vor. Näheres siehe in meinem Aufsatz Kritik des philosophischen Materialismus. Zurück zum Text

Anm. 2: Ob man jede Form von Energie letztlich auf Bewegung reduzieren kann, da bin ich mir nicht mehr sicher. Auf jeden Fall ist aber jede Energieart in jede andere Energieart umwandelbar. D. h. Materie ist in Bewegung auflösbar. Nach Hans-Peter Dürr ist unterhalb von Materie und Energie Geist. Zurück zum Text

Anm. 3: Den »Software-Ingenieur« habe ich zum »Hartware-Ingenieur« hinzugefügt, da mir inzwischen klar wurde, dass nicht nur eine gute Elektronik (zukünftig vielleicht »Photonik«), sondern auch ein gutes Programm wichtig ist. (Und die schreiben sich inzwischen auch schon selber, bzw. entwickeln sich selbständig weiter, wenn sie in bestimmten Problemsituationen Lösungen finden sollen. Programmierer, die sich diese Weiterentwicklungen ansehen, staunen häufig über die unerwarteten Formen dieser Entwicklung.) Zurück zum Text

Anm. 4: An dieser Stelle ist mir mehrfach entgegnet worden, dass man mit dem Gedanken ein Computer zu sein, nichts Positives verbinden könne. Bezogen auf die heutigen Computer ist das völlig richtig. Es geht nicht darum, dass wir ein Computer werden, wie er bei uns auf oder unter dem Schreibtisch steht, mit einem Zentralprozessor, einer Festplatte, einem Arbeitsspeicher etc. Auch nicht wie der Computer, der vor Kurzem den besten Schachspieler der Welt besiegt hat. Unsere Computer von heute sind die Amöben einer neuen Art. Die späteren Computer werden sich von den heutigen so unterscheiden wie ein Mensch von einem Einzeller. Computer mit Bewusstsein, Gefühlen, ethischem und ästhetischem Empfinden und darüber hinaus vielen neuen Eigenschaften, die für uns völlig unausdenkbar sind. Zurück zum Text


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