Alexandre Kojève (19021968) war ein russisch-französischer Philosoph. (Nicht verwechseln mit Alexandre Koyré) Er war Hegelianer und verband existenzphilosophische, phänomenologische und dialektische Gedanken.
Kojeve ist eine geradezu legendäre Gestalt des französischen Geisteslebens: Mit seinen Vorlesungen über Hegel in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Paris bekam Kojeve auf die moderne französische Philosophie einen großen Einfluss. Man kann ohne Übertreibung sagen, die Geschichte der französischen Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre ohne Kojeve eine andere gewesen.
Viele französische Existentialisten habe den Einfluss Kojeves auf ihre Theorien betont.
Viele Vertreter des Strukturalismus und des Posttsrukturalismus habe den großen Einfluss Kojeves auf ihre Auffassungen betont. Kojeve gilt deshalb als wichtiger Vordenker der Postmoderne.
Bei seinen Vorlesungen über Hegels Schrift Phänomenologie des Geistes ging Kojeve besonders auf die Dialektik von Herrn und Knecht ein. Die Menschen hätten Begierden [ich nenne es Bedürfnisse], nach Kojeve besonders das nach Anerkennung durch andere Menschen. Dieses Streben oder dieser Kampf nach Anerkennung (faktisch nach Macht, nach Dominanz) führe dazu, dass die einen Herren, die anderen Knechte würden. Der Herr müsse nicht mehr arbeiten, erhalte Anerkennung und Freiheit, der Knecht müsse arbeiten, erlange aber durch Arbeit die Macht über die Natur und entwickle Vorstellungen von einer freien Gesellschaft, in der er nicht mehr Knecht sei, in der niemand mehr Knecht sei. Der Mensch verwirkliche sich durch die Erarbeitung einer menschlichen Welt und durch das Streben nach Anerkennung. (Die marxsche Vorstellung von der Rolle des Proletariats und vom Kommunismus sind ohne diesen Teil der hegelschen Philosophie nicht denkbar.)
Das Streben nach Anerkennung interpretieren andere Philosophen als Streben nach Macht. (Nietzsche, Foucault. Und einen Endzustand ohne Macht unter den Menschen gebe es nicht.)
Die Begierde sei ein Nichtseiendes das nach Seiendem verlangt. (So was Ähnliches habe ich schon gehört: Von Sartre. Dieser gehörte zu Kojeves Hörern. Da hat das also her. Auch dass Sexualpartner sich abwechselnd als ein »Für-sich« anerkennen, wird Sartre aus Kojeves Auffassungen abgeleitet haben, dass das Ende der Geschichte auf der gegenseitigen, wechselseitigen Anerkennung der Menschen beruht.)
Mit Hegel sei die Philosophie zum Abschluss gekommen. Für Kojeve war in den 30er Jahren das Ende der Geschichte erreicht. Was jetzt noch komme. sei ein »stationäres Endstadium mit bewegtem Faltenwurf von Ereignissen«.
In den 30er Jahren war sich Kojeve noch nicht sicher, welches System, das kommunistische oder das kapitalistische das überlegene sein wird. Später sah er aber das »Ende der Geschichte« in der liberal-kapitalistische Gesellschaft. Er behauptete u. a. Henry Ford sei der einzige bedeutende, authentische oder orthodoxe Marxist des 20. Jahrhunderts. Ende der 50er Jahre hielt er die japanische Gesellschaft für den Endzustand, bzw. eine Variante davon.
Vom »homogene Weltstaat«, den Kojeve sah, sind wir Epochen entfernt. Ganz abgesehen davon, dass die kulturelle Einebnung gar nicht wünschenswert ist. Liberal-kapitalistisch ist Europa und Nordamerika und einige wenige weitere Länder. In der Mehrheit der Länder der Welt, für die Mehrheit der Menschen auf der Welt ist Despotie in verschiedener konkreter Form. Ein Ende davon ist überhaupt nicht absehbar.
Die Geschichte wird nie zu Ende sein! Nur das Ende des Universums, letztlich das Ende jeglichen Seins würde das Ende der Geschichte bedeuten. Wenn Menschen vom Ende der Geschichte sprachen, dann meinten sie damit eigentlich nur, dass Entwicklungen, die sie kannten, zum Abschluss gekommen seien. Selbst damit haben sie sich getäuscht. Aber was noch viel wichtiger ist: Es entstehen immer wieder neue Entwicklungen, von denen viele überhaupt nicht vorausgesehen werden. Die Menschen verschaffen sich z. Z. die Fähigkeit, den genetischen Bauplan der nachwachsenden Generationen zu verändern. Es werden wenn sich die Menschheit nicht in den nächsten Jahrhunderten ausrottet wahrscheinlich in Zukunft mehr und mehr genetisch optimierte Menschen entstehen, langfristig wird dies zur Evolution neuer Arten führen. Das ist nicht unbedingt die Geschichte der Zukunft, aber eine der »Geschichten« der Zukunft. Sehen Sie hierzu näheres in meinem Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten.
»Wenn der Mensch wieder Tier wird, so müssen auch seine Künste, seine Liebe, seine Spiele wieder rein ›natürlich‹ werden. Man müsste also eingestehem, dass die Menschen nach dem Ende der Geschichte ihre Gebäude so errichten werden, wie die Vögel ihre Nester bauen und wie die Spinnen ihre Netze weben, dass sie Konzerte wie Frösche oder Zikaden spielen werden, dass sie spielen werden wie junge Tiere und lieben werden wie erwachsene Tiere. Aber man könnte nicht behaupten, dass all dies ›den Menschen glücklich‹ macht. Man müsste sagen, dass die posthistorischen Tiere der Gattung homo sapiens (die im Überfluss und in völliger Sicherheit leben werden), in Bezug auf ihr artistisches, erotisches, spielerisches Verhalten befriedigt sein werden, da dies ihrer Definition entspricht.«
[So naiv hat Kojeve sich das Ende der Geschichte vorgestellt. Damit ist er für mich erledigt. Die Aufgabe der Menschheit besteht für mich darin, dass sie über sich hinaus wächst, nicht zur Einfalt der Tiere zurück kehrt.]
»Das Tier ist also befriedigt, aber es kennt kein Glück. Heißt, wer das Glück kennt, kennt auch die Unbefriedigung. Hm. Ein Teil des Glücks ist aber sicher auch die Befriedigung, was ist dann also der andere, der menschliche Teil, das Surplus?«
[Der Surplus ist die Vernunft! Die Kunst, die Wissenschaft, die Technik. Auch die Philosophie. Über uns stehende Arten im Vergleich zu denen wir Tiere sein werden , werden Surplus von einer Art haben, die wir bestenfalls in Ansätzen erahnen können.]