Johannes Eckhart, genannt »Meister Eckhart« (12601328), war der bedeutendste Vertreter der christlichen Mystik im Mittelalter, und er war neben dem ca. drei Jahrhunderte später auftretenden Jacob Böhme der bedeutendste Vertreter eines »christlichen« Pantheismus. [1]
Die enge Verbindung von Theologie und Philosophie, wie sie die Thomisten betrieben, war nicht nur ein Problem für rationalistisch denkende, der Natur zugewandte Menschen, sie war auch ein Problem für tiefgläubige Christen. Als Reaktion auf die rationalistische Theologie entstand die Mystik. [Ob die Mystik nur als Reaktion auf andere Vorstellungen entstand oder auch unabhängig von ihnen entstanden wäre, das will ich mal offen lassen.]
Intuition statt Rationalismus und Empirismus: Eckhart war Mitglied des Dominikanerordens, bekleidete im Laufe seines Lebens viele hohe kirchliche und akademische Ämter und war in seinem Wissen auf der Höhe seiner Zeit. Sein Herangehen an die Religion, an Gotteserkenntnis etc. unterscheidet sich aber gründlich sowohl von den Thomisten wie von deren franziskanischen Gegnern. Er trieb keine empirischen Untersuchungen der Natur, der Menschen oder der Welt. Es ging ihm nicht um theoretische Debatten wie im Universalienstreit. Eckhart ging es um unmittelbare, aus dem Inneren aufsteigende Intuition. Ihm ging es ausschließlich um Gott und Seele.
Neuplatonismus: Eckhart orientierte sich an Plotin, Augustinus und Dionysius Areopagita. Gott sei das schlechthin Unerkennbare, ganz und gar Jenseitige, das Übergute etc. [Wenn es unerkennbar ist, woher weiß man dann, dass es das Gute ist?]
Vier Grundthesen:
Alle Zitate aus Störig, S. 274.]
Gott ist Erkennen: Nicht weil Gott ist, erkennt er, sondern weil er erkennt, ist er.
In seiner Zeitvorstellung lehnt sich Meister Eckhart an Augustinus an. Zeit sei das, was sich wandelt und mannigfaltigt, Ewigkeit halte sich einfach.
1327, kurz vor seinem Tod, wurde Eckhart vom Kölner Erzbischof vor ein geistliches Gericht gestellt und musste eine Widerrufserklärung abgeben. Nach seinem Tode wurden einige seiner Lehrsätze vom Papst als ketzerisch (häretisch) verurteilt.
Eckharts Gottes-, Welt- und Seelenvorstellung, die vom ihm propagierte Abkehr von den äußeren Dingen, die Versenkung ins Innere etc. birgt die große Gefahr der Weltfluch und Weltverneinung in sich. Die christliche Abwertung des Leibes, der Sinnlichkeit, der tatsächlichen Welt ist leider auch bei Meister Eckhart vorhanden.
Aber ich sehe auch einen sehr positiven Aspekt in seinen Auffassungen. Er war in eine christlich geprägte Gesellschaft hineingewachsen, hatte bei Theologen studiert, die die christliche Lehre traditionell auslegten, aber doch die geistige Kraft aufgebracht eine pantheistisch Welt- und Gottesvorstellung zu entwickeln. Das finde ich ganz außerordentlich. Meister Eckhart war wie auch immer seine subjektive Selbsteinschätzung gewesen sein mag ganz eindeutig Pantheist, wenn auch sein Pantheismus christliche Restbestände aufweist. Wie soll man einen Satz wie »wer all die Welt nähme mit Gott, der hätte nicht mehr, denn ob er Gott alleine hätte« denn sonst interpretieren? Auch andere faktische Pantheisten haben sich vom Pantheismus abgegrenzt, z. B. Hegel, der pantheistische Philosoph schlechthin. Es wird auch gesagt, Eckhart sei keine Pantheist gewesen, sondern ein Panentheist. Nun ist aber auch der Panentheismus nicht vereinbar mit christlichen Dogmen. Außerdem ist nach meinem Dafürhalten der Panentheismus nur eine Spielart des Pantheismus. Viele christliche Interpreten der Auffassungen Eckharts sehen das anders. Die christliche Religion ist nun mal nicht pantheistisch, deshalb passt ihnen eine pantheistische Interpretation Eckharts einfach nicht. Die entsprechenden Äußerungen werden einfach nicht behandelt. (Über unbewusste psychische Erkenntnisschranken habe ich mich anderen Orts näher geäußert.) Ich kennen dieses Vorgehen bereits von anderen Dogmatikern. Texte bzw. Textstellen der von ihnen verehrten Personen werden ignoriert, wenn diese nicht in ihre Weltanschauung passen. (Sehen Sie hierzu das Vorgehen einiger Marxisten.)
Aber wie bei anderen Philosophen auch, entscheidend ist nicht, wer die richtige Interpretation Eckharts hat. Das ist eine endlose Debatte. Entscheidend ist, welche philosophische Auffassung man selbst hat. Der Glaube an einen allmächtigen, allwissenden und gleichzeitig auch noch »Lieben« Gott ist im Anbetracht des Zustandes und der Funktionsweise der Welt nun mal nicht besonders plausibel. Aber genausowenig plausibel ist mir die Zufälligkeit meiner Existenz, die Zufälligkeit der Entwicklung immer komplexerer Materiestrukturen [2] und das Hervorgehen des Bewusstsein aus toter unbewusster Materie. Der Pantheismus bietet sich da als eine Erklärungsmöglichkeit an. Anmerkungen