Sokrates und Sokratische Schulen


Sokrates

Sokrates (ca. 470–400 v. u. Z.) war ein griechischer Philosoph. Stammte aus einer Athener Handwerkerfamilie und vernachlässigen schon früh seinen Beruf des Steinmetzen. Die Klagen seiner Frau Xanthippe sind sprichwörtlich geworden. Er lebte als Lehrer der Philosophie von den freiwilligen Spenden seiner Schüler. Nahm an mehreren Feldzügen teil und zeichnete sich durch besondere Tapferkeit aus. Im Alter von 70 Jahren wurde er der Gottlosigkeit und der Verderbung der Jugend angeklagt und zum Tode verurteilt. (Schierlingsbecher) [Da bleiben mir ja noch ein paar Jahr ;-)]

Welche Bedeutung Sokrates in der Philosophiegeschichte hat, lässt sich daran erkennen, dass alle Philosophie vor ihm »vorsokratisch« genannt wird. Da Sokrates selbst keine Schriften hinterlassen hat, ist es ein Problem, seine eigenen Vorstellungen von denen zu trennen, die  Platon in seinen Dialogen den platonisch idealisierten Sokrates äußern lässt. Mehrheitlich gehen die Fachleute davon aus, dass in den  frühen Dialogen Platons die Lehren des Sokrates weitgehend authentisch dargestellt werden, in den darauf folgenden Dialogen dann allerdings die Figur Sokrates die Auffassungen Platons vertritt, die von denen des Sokrates in vielen Punkten stark abweichen.

Sokrates hatte mit den Sophisten, die zu seinen Leb- und Schaffenszeiten im antiken Griechenland eine große Bedeutung hatten, manches gemeinsam und wurde oft für einen Sophisten gehalten, obwohl es auch vieles gab, was ihn von den Sophisten unterschied. Wie die Sophisten beschäftigte er sich nicht mit der Natur, wie die meisten Vorsokratiker, sondern sein Interesse galt den Menschen, ihrem praktischen Leben, ihrer Ethik und ihren Erkenntnismöglichkeiten.


Ich weiß, dass ich nichts weiß. [1]


Durch ein Frage-und-Antwort-Spiel (wobei er immer der Fragende war), versuchte er dem Gesprächspartner dessen Unwissen erkennen zu lassen. Die Mutter des Sokrates war Hebamme. Analog zu ihrem Beruf sah er seine philosophische Tätigkeit als »Geistige Hebammenkunst«. Er sagte, er wolle selbst nichts – keine Wahrheit – gebären. Er wolle lediglich anderen dabei helfen, die Unschlüssigkeit ihrer Auffassungen zu erkennen. [2] In diesem Zusammenhang erfand er den philosophischen Dialog (oder auch den Diskurs) als einen ergebnisoffenen Erkenntnisprozess.

Im Gegensatz zu den meisten Sophisten war Sokrates kein ethischer Relativist bzw. Nihilist. Er fühlte eine innere Stimme in sich, die ihn leitete und von ungerechtem Handeln abhielt. (»Der Gott in meiner Brust.«) [3] Dabei ging er davon aus, dass  Tugend gleich Einsicht sei. Es sei unmöglich das Rechte nicht zu tun, wenn man es kennt. [So simpel ist es bestimmt nicht!]


Kritisches zu Sokrates

Der Satz »Ich weiß, dass ich nichts weiß« ist falsch. (Ob Sokrates diesen Satz so gesagt hat, ist umstritten. Deshalb ist dies vielleicht eher eine Kritik der allgemeinen Sokrates-Darstellung als des Sokrates selbst.) Besser wäre die Formulierung: »Ich weiß vieles nicht.« Oder »Ich glaubte, etwas zu wissen, und habe nun erkannt, dass ich es nicht wusste.« Aber diese Sätze beinhalten nicht, dass ich überhaupt nichts weiß. Ich weiß z. B. die Existenz des Textes, den ich gerade schreibe. Ich kann darüber Nachdenken, was für eine Art von Wissen mein Wissen ist. Ist es subjektiv, objektiv, relativ, absolut etc.? (Näher beschäftigt habe ich mich mit den verschiedenen »Wahrheiten« u. a. im 8. Kapitel Meiner Philosophie.) Welche Tragweite, Geltungsgebiete, Bedeutung hat mein Wissen? Dann ist man in der Erkenntnistheorie. Diese Gedanken sind etwas ganz anderes als die schlichte und falsche Feststellung »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Ich will die Leistung des Sokrates für die Philosophie nicht abwerten, aber schon Cusanus sagte: »Nichts gibt es in dieser unserer Welt, was nicht noch genauer gefasst werden könnte.« (Zitiert nach Hirschberger 3, S. 219.)


Sokratische Schulen

Wie üblich, wenn der Meister tot ist, interpretieren ihn seine Schüler unterschiedlich, knüpfen an verschieden Punkten seiner Lehren an und gehen verschiedene Wege. Die Sokratischen Schulen werden so genannt, weil sie von Sokratikern begründet wurden, bzw. von Leuten, die sich als Sokratiker verstanden, von anderen aber nicht unbedingt als solche angesehen wurden. Einige wurden auch zu den Sophisten gezählt. Früher wurde auch der Platonismus als eine sokratische Schule angesehen, Platon als legitimer Nachfolger des Sokrates und als Fortführer seiner Philosophie betrachtet. Heute gehen die Fachleute mehrheitlich davon aus, dass nur der frühe Platon ein Sokratiker war.


Die kynische Schule

Begründet von Antisthenes, der in vielem Rousseau glich. Propagiert wurde u. a. Bedürfnislosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Kunst, Wissenschaft und der herrschenden  Moral. Praktiziert wurde Egoismus, Derbheit, Schamlosigkeit u. ä. Der Begriff Zyniker kommt von hier. Die Kyniker waren die Aussteiger, die Punks der Antike. (Die  Stoiker haben zum Teil hier angeknüpft.)


Diogenes in der Tonne (Diogenes von Sinope, 412–323), der bekannteste Kyniker, soll öffentlich onaniert haben mit der Bemerkung, er sei nur betrübt, dass er seinen Hunger nicht auf ähnlich leichte Weise befriedigen könne. Es wurde auch die Anekdote erzählt, dass Alexander der Große eines Tages an Diogenes herantrat, der in seiner Tonne lag, und diesen fragte, ob er irgend etwas für ihn tun könne, worauf Diogenes antwortete: »Ja, geh bitte aus der Sonne.« Alexander, über diese Respektlosigkeit nicht etwa entzürnt, sagte: »Wäre ich nicht Alexander, ich wollte Diogenes sein.«

Diogenes

Diogenes der Weise aber kroch ins Fass und sprach:
»Ja ja! Das kommt von das!«


Die kyrenaische Schule

Begründet von Aristipp von Kyrena. Er gilt als einziger konsequenter Hedonist unter den Philosophen. Lebensziel sei die Sinnenlust, und zwar der Genuss des Augenblicks. Vergangenheit und Zukunft habe uns nicht zu kümmern. Mathematik, Logik, Physik seien überflüssig. Wissen sei nur Mittel um im Leben so viel Freude wie möglich zu haben. (Vorläufer der  Epikureer.)


Die megarische Schule

Begründet von Eukleides von Megara. Verbindung von eleatischen ( Parmenides) mit sokratischen Auffassungen. Die Mitglieder dieser Schule sind Schöpfer einiger spitzfindiger Fragen und Behauptungen. (»Hast du aufgehört, deinen Vater zu schlagen?« »Alle Kreter lügen«, sagte der Kreter.)


Zur philolex-Startseite


Anmerkungen

Anm. 1: Es gibt einen Streit darüber, ob Sokrates gesagt hat »Ich weiß, dass ich nichts weiß« oder »Ich weiß, dass ich nicht weiß.« »s« oder »Nicht-s« am Ende, das ist für einige Leute eine große Frage. Es wird hier unterschiedlich aus dem Altgriechischen ins Deutsche übersetzt. Es ist heute nicht mehr feststellbar, was Sokrates nun wirklich gesagt hat. In fast allen Büchern, die ich dazu gelesen habe, wird der Satz so wiedergegeben, wie ich ihn hier wiedergegeben habe. Siehe auch  Kritisches zu Sokrates. – Zurück zum Text

Anm. 2: Ich werde des Öfteren dafür kritisiert, dass in meinen Texten zuviel Kritik stünde, das Verhältnis zwischen Darstellung und Kritik angeblich unausgewogen sei. Für die meisten meiner Texte trifft dies nicht zu. Aber es ist durchaus eines meiner Hauptanliegen, Unschlüssigkeiten aufzuzeigen. Allerdings bin ich nicht Sokrates und betreibe keine Hebammenkunst. Die Philosophen, die ich kritisiere, sind fast alle tot. Bei ihnen selbst ist nichts mehr zu (be)heben. Zurück zum Text

Anm. 3: Das, was Sokrates »Den Gott in meiner Brust« nennt, das sind bei mir die  »Primären Bedürfnisse«. Man kann diesen Gott auch als  Über-Ich interpretieren. Zurück zum Text


Copyright © by Peter Möller, Berlin.