Mitleid ist die gefühlte Anteilnahme am Leid anderer. Für einige Philosophen eine ganz wichtige, wenn nicht sogar die einzige Grundlage von Ethik, von Moral. Im Vergleich dazu gibt es wenige, allerdings bedeutende Philosophen, die das Mitleid ablehnen. Für die meisten Philosophen ist Mitleid ein Gefühl, für einige entsteht es aus der Vernunft.
Mitleid hat seinen Ursprung wahrscheinlich in der empfundenen Hilfspflicht gegenüber dem eigenen Nachwuchs und bei Herdentieren in der empfundenen Hilfspflicht gegenüber den Mitgliedern der eigenen Herde. In beiden Fällen ist Mitleid ein evolutiver Vorteil, da er die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Art oder einer Gruppe erhöht. Mitleid geht hervor aus angeborenen altruistischen Gefühlen und Kooperationsbestreben. Im Verlaufe der Evolution werden oft Eigenschaften, die ursprünglich nur einen Zweck erfüllen sollten, zum Selbstzweck, z. B. Essen und Sex. So sind auch viele Gefühle, die eins nur Zweck waren, Selbstzweck geworden. Ein Mensch, der kein Mitleid kennt, ist gefühlskrank. Ist dies irreversibel, ist ein solcher Mensch ein Gefühlskrüppel, da ihm etwas fehlt, was bei den Menschen in der Regel vorhanden ist.
Aristoteles zählt das Mitleid zu den Affekten. Es ist ein Schmerz, den wir empfinden, wenn jemandem ein Übel widerfährt, das er nicht verdient hat.
Im Stoizismus wird gefordert, von Affekten, damit auch vom Mitleid, frei zu sein. In diesem Punkt ist der Stoizismus allerdings widersprüchlich, bzw. verschiedene Stoiker vertreten verschiedene Standpunkte. Viele Stoiker haben schon in der Antike eine allgemeine Menschenliebe propagiert.
Für das Christentum ist Mitleid sowohl ein ganz wichtiger Bestanteil, wie auch eine Ursache von Ethik. U. a. das Mitleid führt zu Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe.
Hobbes lehnt das Mitleid ab. Was im Anbetracht seiner philosophischen Grundüberzeugungen nicht verwunderlich ist.
Auch Spinoza lehnt das Mitleid ab, unterscheidet sich aber von Hobbes. Was der Mitleidige an Gutem tut, soll aus Vernunft getan werden.
Im Anschluss an Hutcheson und Shaftesbury, nach denen zur menschlichen Natur der Altruismus gehört, haben Hume und Adam Smith eine Theorie des Mitleids ausgearbeitet, die für die weitere Entwicklung der Moralphilosophie bedeutsam war. Bei ihnen geht Mitleid aus der menschlichen Natur hervor. Nach Hume ist Mitleid ein Gefühl, das eine gewisse Nähe zum Bemitleidetem voraussetzt und eine zu große Distanz nicht verträgt.
Rousseau sieht im Mitleid die einzige Tugend, die der Wilde hat. Schon beim Tier sei sie zu beobachten. [Rousseau hat ein zu positives Menschenbild, kommt mit seiner Mitleidstheorie aber wohl dichter an die Wahrheit als jene, die glauben Mitleid gehe aus der Vernunft hervor.] Mitleid als Gefühl, nicht Vernunft ist bei Rousseau die Grundlage der Ethik.
Kant lehnt das Mitleid ab, wenn es den durch die Vernunft und das Pflichtbewusstsein gesetzten Maximen vorausgeht. (Der Mensch soll nicht durch das Gefühl, sondern durch die Vernunft bestimmt werden.)
Im Anschluss an Kant sagt auch Fichte, dass, wer aus Mitleid handle, zwar legal, aber nicht moralisch handle, da es nicht moralisch sei, sich blind durch das Gefühl treiben zu lassen.
Sehr bedeutsam in der Diskussion über das Mitleid ist die Mitleidsethik Schopenhauers. Mitleid sei das, was alle leidensfähigen Wesen miteinander verbinde und durch Identifikation zustande komme. Das Mitleid sei die einzige moralische Triebfeder, die Quelle aller freien Gerechtigkeit und aller echten (nicht egoistischen) Menschenliebe. Nur das Mitleid wirke dem Egoismus entgegen. Über das Mitleiden erkenne der Mensch sein eigenes Leid, aber sein eigenes Leid sei wiederum Voraussetzung, um fremdes Leid zu verstehen. Durch das Mitleid, das letztlich Selbstmitleid sei, erkenne der Mensch, dass Leid der Grundtatbestand des Lebens, darüber des Seins sei. Mitleid sei einerseits ein (Ur)Gefühl, andererseits ein Erkenntnisinstrument.
Nietzsche lehnt das Mitleid schroff ab und ordnet es ein in seine Theorie, nach der alles menschliche Handeln Machstreben sei. Der Mitleidende habe leichte Macht über den Leidenden. Der nach Mitleid heischende suche nach Macht über den, der ihn bemitleidet. [Somit hätten beide einen Machtzuwachs, zumindest ein Machtgefühl und damit wäre im Rahmen von Nietzsches Macht-Verherrlichung eigentlich alles in Butter.] Nietzsche forderte, dem Übermenschen nicht das Mitleid mitzugeben, d. h. er wollte eine Höherentwicklung des Menschen bei der das Mitleid verschwindet. Mitleid sei Teil der Sklavenmoral.
Welche Beurteilung des Mitleids jemand abgibt, hängt ab von seiner Mentalität, nicht oder jedenfalls nicht vorrangig von seiner Vernunft. Mitleid ist ein Gefühl, das ich weder bei mir, noch bei den anderen Menschen missen möchte. Was nicht bedeutet, dass ich Mitleid über alles stelle oder immer mit leidenden Menschen oder Tieren mitleide.
Den Sozialstaat kann man notfalls noch instrumentalistisch rechtfertigen, aber Altenheime? Heime für körperlich oder geistig behinderte Menschen? Tierschutzgesetze?
Nietzsche hat Mitleidlosigkeit propagiert, die Nazis haben Mitleidlosigkeit bestimmten Menschen und Menschengruppen gegenüber praktiziert. Was dabei herauskam, war nicht nur grausig, es war auch erfolglos. Die Nazis können nicht für sich in Anspruch nehmen, das Leben, die Höherentwicklung des Lebens etc. gefördert zu haben. Sie sind mit ihrer Mitleidlosigkeit gescheitert, sie sind mit ihrer Mitleidlosigkeit auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Für die Höherentwicklung des Lebens bin ich. Aber das Mitleid soll dabei nicht auf der Strecke bleiben.
Rousseau: »Es ist also gewiss, dass das Mitleid ein natürliches Gefühl und der wechselseitigen Erhaltung des ganzen Geschlechts zuträglich ist, indem es bei jeder einzelnen Person die Wirksamkeit der Eigenliebe mäßigt. Diese Empfindung bringt uns dazu, dass wir einem jeden Leidenden ohne Überlegung Hilfe leisten; sie vertritt in dem Stande der Natur die Stelle der Gesetze, der Sitten und der Tugend, und hat noch dieses voraus, dass niemand in Versuchung kommt, ihrer süßen Stimme den Gehorsam zu versagen.«
Lessing: »Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch.«
Nietzsche: »Der Unglückliche gewinnt eine Art von Lust in diesem Gefühl der Überlegenheit, welches das Bezeugen des Mitleides ihm zum Bewusstsein bringt; seine Einbildung erhebt sich, er ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen. Somit ist der Durst nach Mitleid ein Durst nach Selbstgenuss, und zwar auf Unkosten der Mitmenschen.«
Schopenhauer: »Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.«