Sven Zprottenkopp

Der etwas reaktionäre ältere Lagerverwalter

(Hinter der Bühne, relativ laut:) »Mustafa, reum doch die Bierkästen hier endlich ma wech! Man kommt hier ja nirgends mehr durch. Und der Lehrling soll die Clos putzen. Wat?« (Schreien) »Ick musste in meine Lehrzeit auch Clos putzen! Und ick hab keine 500 Mark dafür bekomm!«

(Ich betrete die Bühne, auf der sich als Mindesausstattung ein Tisch und ein Stuhl befindet, in einem grauem Kittel, mit Hut und einer alter Brille und mit einer Aktentasche, aus der ich eine Flasche Bier und eine BILD-Zeitung herausnehme.) »Mann inne tünn, Ausländer und junge Leute. Mit sowat soll man den Betrieb aufrecht erhalten.«

(Ich setze mich an den Tisch.) »Ja, die jung Leute wissen doch ga nich wie gut ihn dat heute geht. Kaum sünd se 18 da ham se schon n Auto oder n Motorrad. Wer hatte dat denn früher?«

»Und üm ersten Lehrjahr kriegen se 500 Mark. Wissen sie, wat ick bekomm hab, in meine Lehrzeit ende der vierziger? 5 Mark Taschengeld üm Monat. Damals beim Krämer. Und wenn nachts um zwölf einer geklingelt hatte und für fünf Pfennig Senf wollte, dann musste der Lehrling aufstehen und für fünf Pfennig Senf verkaufen. So war dat damals.«

»Und heute? Heute wollen die Lehrlingen doch ga nix mehr tun, nur noch dat Geld abholen. Ja, heute is schon wieder so'n junger Kerl nich zur Arbeit gekomm. Hat sich den Arm gebrochen. Ja und? Kann er doch mit'a anderen Hand arbeiten.«

»Als ick so alt war wie der? Da gab dat keine soziale Hängematte! In den sein alter war ick Soldat an'a Front! Ja, Russland 41. 40 Grad Frost, 39 Grad Fieber. Da sünd solche wie der aber reihenweise umgefallen, wie die Fliegen. Und rotzfrech sünd sie, die jung Leute von heute. Verbreiten sie hier, ick, ick hätte die Lautstärke und die Intelligenz eines Presslufthammers.«

(BILD-Zeitung auspacken.) »Ick les übrigens ga nich BILD, nich dat sie dat von mir denken. Nein, ick versteck dadrin die Nationalzeitung. Muss man hier tun. Die meisten Kollegen hier sünd linksradikal. SPDe-Wähler und so, nä.«

(BILD) »›Ätna spuckt wieder Feuer und Asche.‹ Ojoijoijoi. Mit so einer war ick auch ma verheiratet. Die hieß aber nich Ätna.«

(BILD) »Ohh, die sieht aber nett aus. ›Cindy Crawford‹. Auf Cindy Crawford kommt ein Unheil zu. Na, dat werd ick doch wohl nich sein.«

(In der Zeitung blättern.) »›Wohnungsnot‹. Ach wat! Die Leute sünd so anspruchsvoll geworden. Dat is alles. Hier, der Mustafa, der hat grade ne neue Wohnung gekricht, is aber ümmer noch nich zufrieden. Obwohl es ne sehr ruhige Lage is. 2. Hinterhof. ›Aber da is der Schwamm drin‹, nörgelt er. Soll sich freuen. Kann er sich endlich ma waschen.«

»Aber er jammert: ›Dat Loch kost mich alles zusamm fast tausend Mark im Monat.‹ Ja, Mensch, sach ick, wat willst denn? Verdienst doch fünfzehnhundert.«

»Und dann regt er sich noch auf, dat er jedesma, wenn er dat Licht anmachen will, ne Mark in so'n Stromzähler werfen muss. Dat is doch n guter Anreiz zum Energiesparen. Und mit'e Stromzahlung kommt er nie in Verzuch.«

»Und die Kinder von dem Mustafa, nä, die sprechen perfekt deutsch. Sogar mit regionalen Akzent. Wenn die mit'e deutschen Kinder auf'n Spielplatz sünd? Also wenn man nich wüsste, dat dat Türkenkinder sünd, dann würd man dat nich mehr merken. Soweit is dat gekomm. Sow... Sie sitzen in'a Kneipe, reden mit'm Menschen, stundenlang, denken, dat is n netter Kerl ...«

»Sagen sie ma, wissen sie eigentlich, dat die Türken in ihrer Nationalflagge so'n Stern ham? Nur ma als Hinweis. Nich dat ick da irgendwat vorschlagen will.«

»Ja, Deutschland ist nicht mehr so groß wie früher. Jetzt, wo die Regierung endgültig auf die Ostgebiete verzichtet hat. Ja, wenn wir den Krieg gewonn hätten, dann würd dat alles noch uns gehören. Pommern, Schlesien, Ostpreußen, Danzig, Sudetenland, Österreich, Südtirol, Elsas-Lotringen. Und denken sie ma an die deutschen Siedlungsgebiete in Rumänien und Uruguai.«

(Weiter in der BILD blättern.) »Ach Gott, Waldsterben. Is doch alles übertrieben. Es sterben doch ga nich alle Bäume. Gehen sie doch ma durch n Wald. Nur die, die mit'a modern Industriegesellschaft nich koexistieren könn. Und die werden ersetzt durch andere Arten. Dat brauch man auch ga nich zu bedauern. Die ganze Naturgeschichte besteht daraus. Auslese nennt man sowat.«

»Wenn sie in'e 30er Jahren zur Schule gegangen wären, dann hätten sie dat auch noch gelernt, im Biologieunterricht, wat dat heißt: Auslese.«

»Und dat man die Waldpilze nich essen soll, wegen den Atom, nä, dat is auch Quatsch. Wissen sie, wat ick mit den Atom mach? Dat koch ick ab.«

»Dat ham wir üm Krieg auch so gemacht. Ja, wenn wat schlecht.war, dann wurd dat abgekocht. Und eins müssen wir ma klarstellen: Die Grundpfeiler unserer so erfolgreichen Zivilisation sünd AUSLESEN und ABKOCHEN.«


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